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Baltic Sea Race 2024: Zwischen Gewitter, Wind und Flaute


 

Baltic Sea Race 2024: Zwischen Gewitter, Wind und Flaute

11. August 2024
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Am 27. Juli 2024 startete das 2. Roschier Baltic Sea Race vom Royal Ocean Racing Club (RORC) und der Ocean Racing Alliance (ORA). Der Kurs über die rund 635 Seemeilen geht u.a. um die Insel Gotland und ist offen für Boote, die nach den Regeln von IRC, MOCRA, Class40 und anderen Klassenvereinigungen segeln. Start und Ziel sind vor Helsinki im Finnischen Meerbusen. Bei den 39 gemeldeten Teilnehmern aus sieben Ländern waren auch zwei Crews aus den Reihen des Trans-Ocean mit am Start. Die Haspa Hamburg (Hamburgischer Verein Seefahrt) belegte in der bereinigten Gesamtwertung Platz 30 und die Con-Tiki - eine Contessa 35 von 1976 - von Jens Riewe Rang 33.

Das Baltic Sea Race bot in diesem Jahr so ziemlich alles, was die Ostsee zu bieten hat. Gute Bedingungen zum Start, Gewitter am Samstagabend, Starkwind mit Böen bis 38 Knoten in der Nacht von Sonntag auf Montag und dabei Wellen von 3 m Höhe im Mittel. Selbst erfahrene Segler aus Schweden und Finnland sagten nach dem Rennen, dass sie das noch nicht erlebt hatten.  

Für die Crew der Con-Tiki (Jens Riewe, Marcus Wilbertz, Rainer Steinbrecher, Holger Simon) war es ein anspruchsvolles, aber auch erfolgreiches Rennen. Sie haben nicht nur das Ziel erreicht, sondern am Ende auch noch einen Sonderpreis für „Great Seamanship“ bekommen.

“Great Seamanship” für Con-Tiki

Was war passiert? Im Verkehrstrennungsgebiet vor Hanko löste ein Frachter einen Epirb-SART-Alarm aus. Die Crew versuchte einige Male die M/V Kauri anzufunken, was aber unbeantwortet blieb. Con-Tiki war in Sichtweite des Frachters nur vier Seemeilen entfernt und so sendete Jens Riewe drei Mayday Relays bis 30 Minuten nach dem ersten Alarm. Daraufhin meldeten sich die Finish Coastguards und fragten zunächst, ob an Bord der Con-Tiki alles in Ordnung sei, ehe sie selbst die Kauri anfunkten. Die Funkwache dort bestätigte den Vorfall als Fehlalarm, hatte aber wohl die Funksprüche der Con-Tiki nicht wahrgenommen. Con-Tiki setzte dann ihr Rennen verspätet fort.

Vielleicht durch das Standby am Frachter oder durch den etwas vorsichtigeren Kurs am Montag - die Crew hoffte, durch die Landabdeckung der schwedischen Küste weniger Welle zu erwischen - hing Con-Tiki am Dienstag über Stunden in einer Flaute süd-östlich von Gotland fest. Der Endspurt gen Helsinki machte dann aber der gesamten Crew Spaß und so erreichte sie nach 5 Tagen und 2 Stunden (korrigiert nach Rating: 4 Tage 17 Stunden) und 680 Seemeilen Helsinki. Mit Gänsehautfeeling wurde die Crew durch alle Crews in der Marina Bay herzlich empfangen.

Für Riewe war es die erste Regatta als Skipper und erst die vierte Regatta überhaupt. Sein Ziel ist aber das Fastnet Race, wo er denn mit Sicherheit auch wieder auf den HVS treffen dürfte.

Auch bei der jungen Crew der Haspa Hamburg feierte Skipperin Cosima Cramer ihre Premiere und führte die Crew (Adrian Eickmann, Merle Ritzer, Line Hamann, Gesine Wutzler, Christoph Keese, Fritz M., Frederik Nees) erfolgreich durch das Rennen.

Die Crew hat ihre Erfahrung aus der Perspektive eines dreizehnten Crewmitglieds festgehalten:

Freitag, 26. Juli 2024, Marina Bay Helsinki – 22.00 Uhr
Der Duft des vorgekochten Risottos liegt noch leicht in der Luft. Der süße Geruch nach Wein steht fast schon im Kontrast zur Anspannung, die an Bord herrscht. Zum einen freuen sich alle auf das anstehende 600 Meilen Rennen um Gotland, aber auf der anderen Seite wissen wir seit der Navi Besprechung auch, was vor uns liegt. Die ersten 24 Stunden werden wir leichte bis mittlere Winde gegen an erwarten. Im Laufe der Sonntagnacht soll dann der Wind immer weiter zunehmen, 20 - 30 kn aus Nord-West mit einer Welle bis zu 3 m.

Samstag, 27. Juli 2024, Marina Bay Helsinki – 07:30 Uhr
Der Wecker klingelt viel zu früh. Wenn ich in die Runde schaue, sehe ich den anderen an, dass es ihnen wie mir geht: sie haben auch unruhig geschlafen. Doch jetzt hilft maulen auch nichts. Die letzte Dusche genießen, ab ans Frühstück, Kaffee machen und dann geht’s auch schon los!

Samstag, 27. Juli 2024, Marina Bay Helsinki – 10:30 Uhr
Ein letzter Sprint zum Klo. Jetzt muss es schnell gehen. Ein kleiner Blick nach links und rechts zeigt mir, dass die anderen Crews um uns herum auch schon startklar sind. Wie kann es eigentlich sein, dass Profisegler immer so ernst, aber auch gleichzeitig so tiefenentspannt aussehen? Nun aber: „Leinen los!“

Samstag, 27. Juli 2024, Archipelago von Helsinki – 12:00 Uhr
„Tuuuuut“, endlich geht es los. Die Vorstartphase für die kleinen Boote beginnt. Während wir vorne auf dem Vorschiff noch scherzen, merkt man wie die Spannung auf dem Achterdeck steigt. Unsere Skipperin Cosi steht souverän mit ernstem Blick am Steuer. Doch ich weiß, dass es in ihr ganz anders aussieht. Zwischen Verantwortung übernehmen, aber auch abgeben, liegen die Nerven blank. Doch Laurids unser Navigator und Konstantin als Taktiker geben Cosi eine gute Grundlage zum Starten. Es ist ihre erste Regatta als Skipperin und ich finde sie schlägt sich wirklich gut!

Samstag, 27. Juli 2024, irgendwo auf der Ostsee; Höhe Hanko – 16:00 Uhr
Endlich kehrt etwas Ruhe ein. Ab ins Wachsystem!

Samstag, 27. Juli 2024, irgendwo auf der Ostsee, etwas südwestlicher als vorher – 22:00 Uhr
Ich wache auf durch ein sanftes Rütteln an meiner Schulter und den euphorischen Worten von Caro: „Es ist Wachwechsel, draußen erwarten euch 8 kn Wind und ein ganz fantastischer Sonnenuntergang!“. Besser kann man doch gar nicht aus seiner ersten Freiwache geweckt werden! Doch während die Sonne hinter dem Horizont verschwindet, wird es für nordische Verhältnisse am Horizont etwas zu dunkel. Irgendwie habe ich kein gutes Gefühl.

„Da war gerade ein Blitz“ ruft Merle laut vom Steuer. Doch sie hatte in den vergangenen Tagen immer wieder Regen und Gewitter vorhergesagt und nichts kam. Als ich also in die Blicke der anderen sehe, wird mir klar, dass auch sie Merles Ausruf nicht ernst nehmen. Leider behielt Merle recht und die dunklen Wolken wurden immer größer. Als nicht nur ich, sondern auch andere Crewmitglieder die Blitze am Himmeln sehen, ist klar: Es ist ein Gewitter.

Ich merke, wie sich in mir etwas zusammenzieht. Klar hatte ich schon mal Gewitterwolken auf dem Wasser gesehen. Aber wirklich in einem gewesen, war ich noch nie. In meinen Gedanken versuche ich mich vorzubereiten. Doch worauf kam es nochmal an? Worauf muss man achten?

Während wir die Fenster schließen und unser Ölzeug anziehen, versuchen wir Ruhe zu bewahren. Ich kann mich gar nicht genau dran erinnern, wie schnell auf einmal alles ging. Aber plötzlich stehe ich bei 25 kn Wind, zwischen zuckenden Blitzen an Deck. Die einen rennen in Windeseile aufs Vorschiff, um die Jib runterzuwuchten, Doch schnell bekomme ich mit, dass es zu zweit und bei dem Windwinkel kaum möglich ist, das Vorsegel zu bergen. In Cosis Augen sehe ich die gleichen Zweifel.

„All Hands“ ruft Cosi danach sofort vom Steuer. Keine Minute später stehen schon die nächsten an Deck. Da sich ein Teil der Off-Wache schon vorher Ölzeug angezogen hatte, kann so das Vorsegel vorne mit vielen Händen geborgen werden.

Kurz danach lässt zu unserem Glück nicht nur der Regen, sondern auch das Gewitter ein wenig nach. Die Blitze und Donner werden unregelmäßiger, doch man merkt die Anspannung an Bord noch.

Als die ersten vom Vorschiff kommen, merke ich das bei ein paar der Respekt vor dem Erlebten sehr groß ist. Während ich selbst nicht ganz begreife, was passiert ist, habe ich auf einmal eine aufgelöste Merle neben mir sitzen. Eine Umarmung später, ist vielleicht noch nicht alles vorbei, aber immerhin die ersten Geister vertrieben.

Sonntag, 28. Juli 2024, südlich von den Aland Inseln – 10:00 Uhr
Von schlagenden Segeln geweckt zu werden, ist an diesem Morgen auf jeden Fall ein Kontrastprogramm zur gestrigen Nacht. Als ich an Deck komme, ist es ruhig, wir gleiten langsam übers glatte Wasser und lassen das Gewitter Revue passieren. Denn nicht nur unsere nassen Midlayer sind von dem Geschehen gezeichnet, sondern auch wir.

Sonntag, 28. Juli 2024, Almagrundet – 20:50 Uhr
Keine 5 Minuten nach dem Wecken, stehe ich schon in Vollzeug bei 20 kn Wind auf dem Vorschiff. Almagrundet keine Meile voraus, heißt es: Jib-Top anbauen und alles zum Abfallen vorbereiten.

Nach einem guten Tonnenmanöver beginnen wir unsere Rauschefahrt zur Südspitze Gotlands. Dachten wir zumindest, jedoch ist der Wind die ersten Stunden etwas weniger als angesagt und somit kommen wir leider nicht auf unsere Target Geschwindigkeiten. Meine Stimmung ist etwas gedrückt, da die anderen Boote fast alle Kites ziehen und von hinten immer weiter aufholen.

Da ist klar, es hilft nur eins, um unsere Stimmung wieder zu heben: Juchu, wir haben noch vorgekochte Bolognese von unserem Chefkoch (Christoph) Keese. Damit steigt nicht nur die Stimmung, sondern auch der Wind nimmt von Stunde zu Stunde zu. Jetzt sind wir doch sehr froh, nicht wie die anderen Teams erst einen Kite gezogen zu haben, sondern mit der Jib-Top durch die Nacht zu brettern.

Montag, 29. Juli 2024, zwischen Almagrundet und Gotland – 01:30 Uhr
Durch lautes Schreien geweckt zu werden, klingt etwas beunruhigend. Doch wenn man nach dem ersten Schreck hinhört, merkt man schnell, dass es sich doch nur um laute Jubelschreie handelt, da die Wache an Deck immer wieder den vorher aufgestellten Speed Rekord knackt.

Eine Viertelstunde, bevor unsere Wache dran ist, sehe ich wie Lasse sich aus seiner Koje schält und sich in den Niedergang stellt. „Was ist denn hier los? Bei dem Geschrei bekommt man ja FOMO!“ (Fear of Missing Out). Von oben kriegt er nur voller Freude zu gerufen „Fritz ist grade 22,1 kn gefahren“.

Montag, 29. Juli 2024, Süd-Spitze Gotland – 07:30 Uhr
Alle sind völlig durchgeknallt vor guter Laune, sodass unserer Navigator Laurids uns mit einem leicht strengen Unterton ermahnt: „Ruhe jetzt bitte! Der Konsti muss sich konzentrieren. Es geht jetzt durch die Enge und wir müssen auf den Grad genau steuern, um keine Patent-Halse zu fahren. Fredi und Line, das heißt auch: keine Fotos und Videos! Volle Konzentration, bitte.“

Nach einer aufregenden, aber sauber im Surf gefahrenen Halse, ging es dann wieder hoch ran und endlich hieß es: Auf zurück nach Helsinki! Doch die gute Stimmung wurde nochmal etwas angespannter. Während ich am Groß saß, standen auf einmal 33,4 kn auf der Windmessanlage. Es war klar, wenn der Wind nicht nachlässt, werden die nächsten 24 Stunden nochmal sehr hart.

Von Wache zu Wache wurden die Wellen größer, obwohl der Wind sich bei 25 kn einpendelte. Die Haspa stampft mit 10 kn durch die Ostsee und man sieht der Crew an, dass sie nicht nur mit den Wellen, sondern auch mit sich selbst zu kämpfen hat.

Dienstag, 30. Juli 2024, zwischen Gotland und der Spitze Estlands, 03:20 Uhr
Hellwach liege ich in meiner Koje. Oben jubelt niemand mehr. Und selbst wenn jemand jubeln würde, man würde es unter Deck bei dem Krach nicht hören. Die Haspa stöhnt in jeder Welle und das Knarzen des Kickers bereitet meinem feinen Gehör sorgen.

Eine Stunde später wünsche ich mich nur noch zurück in die Koje. Es ist kalt und jede zweite Welle bricht über das Deck der Haspa. Ich bin neidisch auf alle, die eine dichte Öljacke haben.

Dienstag, 30. Juli 2024, Spitze von Estland, 14:10 Uhr
Der Tag neigt sich langsam Richtung Mittag und wenn man aufs Meer schaut, kann man kaum glauben, dass es nicht mal vor zehn Stunden 28 kn Wind und 3 m Welle hatte. Das Meer ist Spiegel glatt und wir sind genervt das zwei Stunden lang nur 6 kn Wind auf der Anzeige steht und die Haspa einfach nicht losfahren will. In Luv von uns fährt die Nola (eine MAT 12.20) mit 10 kn und wir warten nur das der Wind auch bei uns einsetzt.

Endlich ist der Wind da. Wir fahren wieder mit 7 kn und Helsinki kommt näher. Jetzt heißt es wieder: All Hands (diesmal aber geplant und ohne den Stress der ersten Nacht).

Dienstag, 30. Juli 2024, Leuchtturm von Helsinki, 18:00 Uhr
Ich kann es kaum glauben, aber ich höre es aus Caros Mund genau: „Letzte Große Bahnmarke, whoop!“ Danach geht alles ganz schnell. Der Wind erfüllt uns noch einen letzten Wunsch und nimmt zu auf 20 kn. So düsen wir der Nola mit 10 kn Bootsspeed davon.

Dienstag, 30. Juli 2024, Archipelago von Helsinki, 20:30 Uhr
Zwei letzte Wenden und dann ist es geschafft. Von hinten höre ich nur das Jubeln von Laurids und Cosima. Moment. Sind wir schon drüber? Das wars jetzt? Team Vorschiff hat mal wieder nichts mitbekommen. Egal, jetzt wird gefeiert! Wir liegen uns jubelnd in den Armen, während der Fotograf den Moment festhält.

Im Hafen erwarten uns jubelnd die anderen Schiffe und nehmen uns in Empfang. Was für ein Rennen! Kaum sind die Leinen fest, kommen wir als Crew der wichtigsten Tradition nach: Cosi wird für ihre erste Regatta als Skipperin ins Hafenbecken geworfen und mit ihr die Schiffsführung gleich hinterher.

Gedanken nach dem Rennen
Was für ein anspruchsvolles und interessantes Rennen. Mit schwierigen Situationen aber auch vieler guter Laune und viel zu schlechten Witzen. Eins ist klar: Wir bleiben dem Rorc und dem Balti Sea Race vielleicht nicht als Siegerboot im Kopf, aber dafür als eine Jugendcrew, die alles gegeben hat. Immer einen guten Spruch auf Lager hatte und die Stimmung im Hafen lebendig gehalten hat.

Fotos: Roschier Baltic Sea Race 2024@PepeKorteniemi, Line Hamann (HVS)


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