„Ich habe gehört, Dein Motor ist kaputt.“ „Ja, das stimmt leider.“ „Na, dann lernst Du jetzt vielleicht endlich mal segeln.“
Der Mann, der mich 2012 auf diese Art begrüßte, konnte sich so einen Spruch zur Begrüßung erlauben wie kaum ein Zweiter: 13 Umrundungen von Kap Hoorn, 20 Atlantiküberquerungen und sechs Fahrten in die Polarmeere lagen da bereits in seinem Kielwasser.
Wer Erich Wilts, in der Regel irgendwo weit abgelegen von klassischen Routen in einem Seglerhafen traf, wurde fast immer einem kernigen Spruch begrüßt. Ostfriesisch, trocken, humorvoll. Ausgeprägter als diese Charaktereigenschaften waren wohl nur die Liebe zu seiner Frau Heide und die Begeisterung für das Segeln.
Nach kurzer schwerer Krankheit ist Erich Wilts am 2. Dezember zu seiner letzten Reise aufgebrochen.
Seine Charakterzüge hatten sicher in seiner Heimatstadt Leer ihre Wurzeln. Dort wuchs er nach dem Zweiten Weltkrieg direkt an der Ems auf und segelte bereits mit acht Jahren seine erste gaffelgetakelte Jolle.
Fluss und Inseln wurden aber nach dem Abitur 1962 zu klein. Parallel zu seinem Betriebswirtschaftsstudium, erweiterte er als Crewmitglied seinen Horizont auf der – motorlosen – „Ortac“ des Hamburgischen Vereins Seefahrt (HVS), segelte beim Admiral’s Cup, als Navigator auf Reisen in den Nordatlantik und 1969 zum ersten Mal über den Atlantik von Antigua nach Gibraltar. In diesen Jahren verliebte er sich in die Art zu segeln, die er bis vor Kurzem noch zum Lebensinhalt machen konnte:
Einem Interview in der Zeitschrift Yacht zufolge war das auf einem Islandtörn. „Wir segelten zu der Vulkaninsel Surtsey, ankerten dort und bestiegen den Feuer- und Lavaspeienden Vulkan. Und ich sah den ersten Eisberg meines Lebens, ein riesiges Monster in der Dänemarkstraße.“ Anschließend lagen sie zwei Wochen in Reykjavik und warteten auf Proviant für die zweite Hälfte der Reise. Für Erichs Skipper und die Crewkameraden verlorene Segelzeit. – Er aber nahm sich ein Zelt und machte Abstecher ins Landesinnere. Diese Kombination aus abenteuerlichem Segeln und dem Erkunden der so besuchten Länder, sollte sein weiteres Leben bestimmen.
Zurück in der Heimat lernte er seine Frau Heide kennen, die mit ihm in den folgenden Jahrzehnten mehr als 160 Stürme auf allen Ozeanen abwetterte. Das Team Heide und Erich Wilts kann man kaum getrennt beschreiben und wurde zum Inbegriff für gelebte Seemannschaft und Hochseeabenteuer.
Schon bevor sie 1990 ihre bürgerlichen Berufe endgültig an den Nagel hingen, um dauerhaft gemeinsam segeln zu gehen, galt Erich Wilts als ausgemachter Experte in Sachen Schwerwetter und Segeln in extremen Breiten.
Zwischen Kap Horn und der Antarktis zuhause
Das begann 1981. Beide segelten mit ihrer 15 Meter langen „Freydis“ und wechselnder Crew einmal um Südamerika. Das Dessert zu diesem elf Monate langen Törn war ein Abstecher in die Antarktis. – Dem Ersten für eine Yacht unter deutscher Flagge überhaupt und der beinahe schief ging: Nur sechs Stunden bevor der Anker vor Deception Island fiel, „hätten wir uns im dichten Nebel beinahe selbst versenkt, als 50 Meter vor uns ein Eisberg wie aus dem Nichts auftauchte“, erklärte Erich später der Yacht.
Die Reise wurde von der Trans-Ocean Jury 1981, neben einer TO-Medaille auch mit dem Trans-Ocean-Preis ausgezeichnet. Heide Wilts hat sie in dem Buch „Weit im Norden liegt Kap Hoorn“ aufgearbeitet und damit eine Inspiration für gleich mehrere Generationen von Abenteuerseglern geschaffen. Die Polarregionen wurden von nun an zum Markenzeichen der Expeditionen mit der „Freydis“.
Nicht entlang der Barfußroute
Einige Jahre später lag mit Rund Afrika auch die zweite Umrundung eines Kontinents im Kielwasser. Was aber noch im Logbuch fehlte, war eine richtige Weltumsegelung. Zu der brachen Heide und Erich 1990 auf und segelten gleich wieder ins Extreme: Zu der ersten, und bis heute einzigen dokumentierten, Überwinterung einer deutschen Segelyacht in der Antarktis. Ziel war erneut die Vulkaninsel Deception, die sie bereits auf ihrem ersten Abstecher besucht hatten.
Dort lief nicht alles nach Plan und „Freydis“ schlug in einem Orkan Leck. Zusammen überlebten sie in einer Nothütte zwischen Schnee und Eis, reparierten provisorisch über Monate hinweg gemeinsam die havarierte Yacht für die fast 4.000 Seemeilen lange Rückfahrt und erreichten im anschließenden Frühling den Beagle-Kanal in Südamerika.
Spätestens damit wurde Segeln mit der „Freydis“ zum Synonym für eher außergewöhnliche Abenteuerreisen und Erich Wilts hatte in der Szene auch seinen Ruf als Garant für schlechtes Wetter weg.
Ein Ruf, in dem er sich stets ein bisschen zu sonnen wusste und genoss, seine Scherze über jüngst abgewetterte Stürme und widriges Wetter zu machen.
Statt entlang der Barfußroute zu segeln, umrundeten beide in den folgenden sieben Jahren mit wechselnden Mitseglern den Globus: Konsequenter Weise zwischen den südlichen Kaps und der Antarktis. Dabei liefen sie viele der Archipele und abgelegenen Inseln im Südpazifik, Südatlantik und dem antarktischen Polarmeer an. – Als erste deutsche Crew überhaupt, die alle zu Neuseeland und Australien gehörenden subantarktischen Inseln besuchte.
Und auch diese Reise endete mit einem ungewöhnlichen Segel-Dessert nach Art von Erich Wilts: Der Auftakt zur zweiten Weltumsegelung fand als Törn durch den arktischen Winter 1998/99 von Kap Hoorn nach Australien statt.
An Bord der „Freydis“ wurde es ab hier ungewöhnlich warm. Erich, skipperte sie als Expeditionsschiff für das GEO-Magazin zu den wenig erforschten Inseln Melanesiens im Nordosten Australiens.
Am Ende stand 2002 die Rückkehr nach zwölf Jahren Langfahrt in den Heimathafen Leer. – Genug Zeit für eine zweite Würdigung mit einem Trans-Ocean-Preis.
Hoher Norden
Allzu lange bleiben wollten sie aber nicht und schon 2004 setzten sie nach Reparaturen und Refit ihren Kurs auf die Nordsee und in Richtung Karibik. Nicht der Palmen wegen versteht sich. – Auf der seglerischen Landkarte gab es aber noch einen weißen Fleck: den Nordpazifik.
Diese Reise brachte „Freydis“ hoch in die Bering-Straße nach Alaska, entlang der Küste bis in den Süden der USA und quer über den Pazifik nach Asien. Wieder standen hohe Breiten und Häfen abseits klassischer Segelrouten auf dem Törnplan. Beispielsweise Japan.
Dort war nur ein Zwischenstopp geplant. Der wurde aber zum Schicksalsschlag für die Abenteuersegler: Einen Tsunami an der Küste übersteht die Freydis am 11. März 2011 noch weitgehend unbeschadet. Dennoch müssen Heide und Erich ihr Schiff in Folge der Nuklearkatastrophe von Fukushima aufgeben.
Zurück in Deutschland können sie mit Hilfe von Spenden und Sponsoren aber schon ein halbes Jahr später mit dem Ausbau der neuen Freydis III beginnen und nur weitere elf Monate später brechen sie erneut von Leer auf. Ab 2014 knüpfen Heide und Erich an ihre geplante Reise von Japan aus nach Norden über Sibirien nach Alaska an.
Vom Abschluss dieser letzten großen Reise berichtet gerade Lore Haack-Vörsmann aus der Perspektive einer Mitseglerin im aktuellen TO-Magazin. In nur 44 Tagen durchsegelte sie mit Skipper Erich Wilts die Nordwest-Passage nach Grönland in Richtung Heimat.
Dem Trans-Ocean e.V. hat Erich Wilts seit seinem Beitritt in 1981 auch in stürmischen Zeiten immer die Treue gehalten und mit seinen Fahrten den Vereinszweck „Förderung des Hochseesegelns“ im wahrsten Wortsinn mit Leben gefüllt, auch dafür wurden ihm und Heide im November die Ehrenmitgliedschaften verliehen.
Seine markante und herzliche Art werden Mitglieder, Vorstand und Mitarbeiter schmerzlich vermissen. Wir möchten Heide unser tiefes Mitgefühl und Beileid aussprechen.
Hinnerk Weiler