Weltruhm hat Rudyard Kipling (1865-1936) mit seinen Dschungelbüchern erlangt, für die er 1907 sogar mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet wurde. Doch der Brite, der in Bombay aufwuchs, ist weit mehr als Mogli, Balu, der Bär, oder die Schlange Kaa.
Er ist auch ein herausragender Reisejournalist, dem es gelingt, pointiert und humorvoll seine Erlebnisse zu beschreiben und der seine Leser nicht nur in ferne Länder mitnimmt, sondern sie auch direkt eintauchen lässt in die Welt der Hafenspelunken und Handelszentren, der schmutzigen Gassen und luxuriösen Schiffe, der Naturwunder, der Prachtbauten, der Weite des Meeres und der Prärie genauso wie in die Enge der Städte und des Bordlebens.
Er ist ein Könner seines Faches und ein hingebungsvoller Beobachter.
Inzwischen sind seine Reisebriefe und Reportagen, die er auf seiner in die Länge gezogenen Heimreise von Indien nach England (1887-1889) verfasst hat, zum ersten Mal vollständig in deutscher Übersetzung erschienen, liebevoll aufgemacht und mit zahlreichen Anmerkungen versehen, die die eigene „Leseliste“ gleich um einige Bücher erweitert und zum endlosen Nachlesen und Stöbern verleiten.
Taucht man in Rudyard Kiplings Beschreibungen ein, wird man gepackt von seiner Ironie und Detailverliebtheit. Sein Witz, sein Humor suchen ihresgleichen. Immer wieder entdeckt er das Groteske und Unerwartete in seinen Begegnungen und stellt dabei durchaus auch seine eigenen Vorurteile beziehungsweise die Vorurteile seines eigenen Umfeldes und seiner Kultur an den Pranger. Dabei entstehen Bilder, die mehr als nur ein Schmunzeln beim Leser hervorrufen, sondern ihn vielmehr von einer Buchseite auf die nächste mitnehmen, 770 Seiten lang.
So erlebt man eine Reise in die Vergangenheit, eine Reise in Länder und an Orte, die es so nicht mehr gibt, die aber durch Kiplings Beschreibungen lebendig bleiben – von Küste zu Küste, in Indien, Asien und Amerika.
Rudyard Kipling: „Von Ozean zu Ozean. Unterwegs in Indien, Asien und Amerika“, mare Verlag, Hamburg. Leinenband mit zwei Lesebändchen im Schuber. Euro 48.
Kirsten Panzer