Von den Azoren sollte es für Susanne Huber-Curphey wieder nach Norden gehen. Die Färöer hatte sie sich als Ziel ausgewählt – Lange Fahrt durch tiefes Wasser. Dass es nicht leicht werden würde, war ihr von vornherein klar, doch mit dem, was dann passierte, hatte sie nicht gerechnet. Sturm zog auf:
Schon am dritten Tag der Reise zeigte sich eine Wettereskalation. Natürlich hatte ich mit ordentlichen Tiefs gerechnet, aber dieses war beim für diese Jahreszeit außergewöhnlich tiefen Luftdruck von nur 974 hp besonders heftig. Sturmstärke. Ich wurde nachdenklich. Beim derzeitigen Kurs würde ich in drei Tagen im Zentrum des Tiefs sein. Ich beschloss beizudrehen, also sehr langsam zu segeln, um den dicken Kerl links an mir vorbei ziehen zu lassen.
Ich bereitete den Jordan Series Drogue vor, der mit schweren Schäkeln an stark verschweißten Augen am Heck montiert wird. Ich sicherte diese Schäkel, legte alles klar und schaute unter Deck ob noch irgendetwas lose herum liegt.
Als am Mittwoch (Tag 5) mittags die ersten heftigen Böen im Rigg pfiffen, vermutete ich bereits, dass es nicht sicher sei, weiterhin nur unter Trysegel beigedreht zu liegen. Wind und gefährliche Wellen kämen dabei zu weit von der Seite.
Nach zwei Stunden zeigten sich erste heftige Brecher und eine weitere Stunde später brachte ich den Jordan Series Drogue (JSD) aus, es war nicht zu früh.
Wie viele Male zuvor geht das ganz ohne Drama, solange man die etwa 80 Meter langen Leinen mit den 151 kleinen Trichtern langsam vom Heck aus beginnend auslaufen lässt. Dann barg ich das Try, zurrte die geborgenen Segel ordentlich fest und brachte das Ruderblatt der Selbststeueranlage 'Miss Aries' nach unten. Ich kenne dieses Szenario sehr gut, denn in den vergangenen 19 Jahren habe ich den JSD mindestens 21 Mal ausgebracht. Ich weiß, dass Nehaj dann absolut sicher liegt und auf sich selbst aufpasst, komme was will. Solange wir in tiefem Wasser ohne Land in der Nähe sind und solange mich das AIS vor Schiffen warnt.
Im Laufe der Nacht purzelte das Barometer und ab und zu schubsten uns schwere Brecher an, konnten aber unmöglich Schaden anrichten. Manchmal kam Spritzwasser über das Heck, aber der Niedergang ist wasserdicht und stark. Der JSD ist meine gut bewährte Lebensversicherung, das habe ich oft erlebt, und er hat mir und dem Boot etliche Male das Leben gerettet.
Im ersten Tageslicht zeigte sich um uns eine wieder einmal beeindruckende Sturmszenerie. Wellenkämme wurden im Wind weggetragen, Brecher hinterließen große Felder mit hell gefärbtem Wasser, und es gab lange Bänder von Schaum auf der See. Entgegen der Ansage meiner Gribfiles von 35 Knoten (8 Beaufort) hatten wir Böen von über 50 Knoten (Stärke 10).
Um neun Uhr morgens merkte ich, dass etwas nicht stimmt! Warum sind in den letzten 15 Minuten zwei Brecher fast quer über das gesamte Deck gestürzt? Wie kann das sein?
Ein Blick durch das kleine Fenster am Niedergang bestätigte meine Sorge: Aus einem nicht zu erklärenden Grund hatte sich der JSD gelöst. Er war einfach WEG! Die Schäkel am Heck und die ersten Leinen waren unversehrt, aber die zehn Meter lange 22 mm dicke Leine danach, sowie alle 151 Trichter und das Endgewicht von 15 Kilo war nicht mehr da - WEG! Mir wurde bange!
Schnell überlegte ich mir eine Strategie, um Nehaj vor der sehr bald zu befürchtenden Durchkenterung zu sichern und sprang in Gummistiefel und Ölzeug. Als sehr schwachen Ersatz für den JSD wollte ich eine dicke Leine nachschleppen. So zerrte ich eine ebenfalls 22mm dicke Trosse von 80 Metern Länge eilig aus dem Stauraum am Heck. Weil ich das Ende der Leine tief unten gesichert hatte, musste ich eigentlich nach unten krabbeln, aber das war momentan undenkbar. So holte ich das scharfe Messer, um die jeweils letzten zwei Meter abzuschneiden. Obwohl nun jede Minute zählte, umwickelte ich die Enden noch schnell mit Klebeband, damit sich die Leine nicht aufdrüseln kann. Da ist es gut zu wissen, was an Bord wo verstaut ist.
Innerhalb kürzester Zeit hatte ich die Trosse an den beiden schweren Pollern befestigt und ließ sie in einer großen Bucht am Heck auslaufen. Der Effekt war aber kaum spürbar und noch immer war Nehaj in großer
Gefahr einer Durchkenterung. Ich bin mir sicher, dass ein in der Literatur oft empfohlener Autoreifen am Ende der Leine ohne bremsende Wirkung einfach über die Wellen gesprungen wäre.
Wieder humpelte ich eilig nach unten, um in der Bilge vor dem Mast ein weiteres Kettenstück von 20 Metern Länge hervorzuwuchten. Es wiegt um die 45 Kilo. Ein Griff an der richtigen Stelle gab mir einen großen geschweiften Schäkel aus Niro. Der Draht zur Sicherung sowie die Zange waren auch sofort zur Hand. Wenige Minuten später rutschte dieses Stück Ankerkette auf der Trosse von selbst bis zum Ende der Bucht. Der Effekt war nun deutlich zu spüren, denn die vertikal hängende Kette zog die Trosse ins tiefe Wasser und sie stand unter kräftigem Zug. Nehaj lag jetzt etwa 20 Grad zur Welle und konnte dabei die gefährlichen Brecher etwa alle 15 Minuten gut wegstecken. Das ist eigentlich keine Zeit für Experimente, aber Puh, erst mal waren wir wieder sicher.
Gegen Mittag blieb der Wind konstant und die See baute sich nicht weiter auf. Zum Abend hin merkte ich auch ohne ein Windmessgerät, dass es ruhiger wurde. Es war überraschend anstrengend die Trosse und Kette einzuholen, aber wir waren wieder unterwegs und Miss Aries schien sich über die Aufgabe zu freuen, das Boot in hoher See unter Trysegel und später ausgebaumter Minifock zu steuern.
Noch kann ich nicht exakt sagen, warum mein JSD wirklich brach. Jedenfalls lag es nicht an den Schäkeln der Verbindungen zum Heck oder der Leinen zueinander. Bei genauer Inspektion sah ich, dass sich eine der Kauschen aus irgendeinem Grund verbogen hatte, dort war die dicke Leine wohl durchgescheuert. Es ist auch möglich, dass diese 20 Jahre alte Trosse im Laufe der Zeit gealtert war, obwohl ich unnötige Zeit im UV Licht immer vermieden hatte. Eigentlich ist es sehr schade, denn zuletzt hatte ich in wochenlanger Arbeit alle Trichter aus starkem Tuch neu angefertigt. Damals in Tasmanien, mit einer neuen Nähmaschine. Es war ihr erster Einsatz.
Insgesamt ist diese Geschichte eher undramatisch, denn an Bord gab es keine Schäden. Keine kaputten Segel, kein Mastbruch, innen ist alles trocken und mir geht es gut. So ist es meine persönliche Angelegenheit, dass ich mich jetzt ohne die Lebensversicherung eines JSD sehr exponiert fühle. Immerhin denken sich wohl 99 Prozent aller Segler auf Blauwasserfahrt gar nichts dabei.
Susanne Huber-Curphey
Inzwischen haben Susanne und Nehaj ihre Reise auf die Färöer abgebrochen, haben Irland angesteuert und dort inzwischen festgemacht. Alles noch einmal gut gegangen. Doch ihr Schutzengel liegt in tiefer See. Nun muss nachgebessert werden.