Knapp 1000 Jahre ist es her, dass Leif Eriksson, Sohn des berühmt berüchtigten Erik „der Rote“ Thorvaldsson, mit seinem Wikingerboot in Vinland, vermutlich dem heutigen Neufundland, landete und damit Amerika entdeckte. Als wir am 12. April 2019 unsere Nanook II, eine Etap 37s, in Kiel zu Wasser lassen, scheint die ehemalige Wikingersiedlung L'Anse aux Meadows im Nordosten Kanadas, die in den 1960er-Jahren von den Norwegern Helge und Anne-Stine Ingstad entdeckt wurde, noch in weiter Ferne. Nur das norddeutsche Wetter ist schon ganz nach dem Geschmack der Wikinger und überzieht das Deck morgens mit einer dünnen glitzernden Eisschicht.
Schon seit einigen Jahren spielen wir, Vater Gerald (72) und Sohn Sven (29), mit dem Gedanken, auf den Spuren der Wikinger über den Atlantik zu segeln. Vor knapp zwei Jahren haben wir dann mit Nanook II das passende Boot gefunden und mit Svens Schulfreund Jakob (29), der auf den Färöer zusteigen würde, den dritten Nordmann. Drei wilde Kerle aus Graz in der sonnigen Steiermark wollen also in knapp fünf Monaten noch einmal Amerika entdecken.
Einsame Häfen in der Ostsee
Am Ostermontag ist es dann tatsächlich so weit. Wir legen in Eckernförde ab, Kurs Dänemark. Mit Jakobs Landung auf den Färöer am 1. Juni haben wir unseren einzigen Fixpunkt auf der Reise, doch erst einmal wollen wir es gemütlich angehen lassen und uns in Tagesetappen durch die noch verlassenen dänischen Häfen immer weiter nach Norden vorarbeiten. Schon am zweiten Tag bekommen wir mit bis zu 45 Knoten Wind die Mahnung, dass wir doch vor Abfahrt die Sturmfock und die Lifebelts hätten bereitlegen sollen. Gegen Ende April erreichen wir Anholt und sind bei tristem Regenwetter eine von nur zwei, drei Segelyachten im großen Hafenbecken. So erleben wohl wenige Segler die beliebte Insel mitten in der Ostsee. Bei Regen laufen wir frühmorgens aus und machen uns auf den Weg ins schwedische Varberg. Von dort geht es dann in Tagesetappen hoch bis nach Smögen, wo wir zwischen einigen Yachten mit gleichermaßen netten wie betrunkenen Norwegern festmachen. Von diesen bekommen wir auch den Tipp, sowohl durch den traumhaften Slotenkanal auf der schwedischen als auch durch die Blindleia auf der norwegischen Seite zu fahren. Mit einem kurzen Zwischenstopp auf den Wetterinseln Väderöarna geht es mit der ersten Nachtfahrt und 40 Knoten Wind nach Norwegen.
In Kristiansand lassen wir später zur Sicherheit unsere Genua nachnähen und können unsere deutsche Gasflasche noch einmal füllen - zum letzten Mal, wie sich bald herausstellen wird. Da die Saison noch nicht begonnen hat, müssen wir zum einen noch keine Hafengebühren bezahlen und zum anderen auf eine heiße Dusche verzichten. Die bekommen wir erst in Tananger, das wir anlaufen, um uns den Weg um die Halbinsel nach Stavanger zu sparen. Als wir später im fast gegenüberliegenden Skudeneshavn liegen, kündigt sich ein passendes Wetterfenster an, sodass wir spontan unsere Pläne ändern und anstatt durch die Fjorde bis nach Bergen hoch zu segeln, direkt am nächsten Tag die Shetland Inseln ansteuern.
The Most Northern of Everything
Die 220 Seemeilen vergehen relativ rasch und unspektakulär, sodass wir schon am nächsten Abend in der Gulber Wick südlich der Hauptstadt Lerwick den Anker fallen lassen. Die Einfahrt in den uns unbekannten Hafen bei Dunkelheit wollen wir vermeiden. Der optische Unterschied von Landschaft und Leuten könnte zwischen Schweden beziehungsweise Norwegen und den Shetland Inseln kaum größer sein. Richtig “British” sieht es aus und wir gönnen uns zur Belohnung auch eine riesige Portion Fish & Chips. Bevor es weitergeht, bleibt Zeit die Insel zu erkunden und so landen wir schließlich auch im “Most Northerly Tea Room” im kleinen Städtchen Baltasound. Wie der so ein Meilenstein.
Am 20. Mai lösen wir die Leinen vom verrosteten Arbeitsboot an der kleinen Pier von Baltasound und kämpfen uns durch wilde Strömung um die Nordspitze des englischen Königreichs. Nach 38 Stunden erreichen wir gegen Mitternacht bei Regen und 4 Knoten Strömung gegenan Torshavn, die Hauptstadt der Färöer Inseln. Wir sind sofort begeistert von der typisch dänischen Architektur und verbringen die Tage damit, die Inseln auf Wanderschuhen, mit Bus und Hubschrauber zu erkunden. Letzterer ist staatlich gefördert und so können wir für nur 20 Euro pro Person auf die Nachbarinsel fliegen. Für zwei Tage segeln wir nach Suðuroy, die südlichste der Färöer Inseln. Hier werden wir das erste Mal relativ unfreundlich empfangen. Allerdings natürlich nicht von den Fähringern, sondern von einer amerikanischen Segelyacht, an der wir längsseits gehen wollen, um die Tiefe an der Seite der Pier zu überprüfen. Mit “this is not acceptable, I had just repainted the hull” werden unsere Leinen wieder losgeworfen. Das Problem? Unsere Fender hatten keine “Söckchen” an…
Am ersten Juni landet Jakob planmäßig in Midvagur und wir verholen uns gemeinsam nach Vestmanna, wo wir fünf Tage lang auf ein passendes Wetterfenster warten.
Mit Steuermann Windpilot nach Island
Um die Mittagszeit laufen wir durch schwere Tideribs aus und setzen die Segel. Vom Wind der letzten Tage steht noch eine unruhige See. Gleich zwei der drei Besatzungsmitglieder werden seekrank. Zum Glück übernimmt unsere Windfahne für fast 48 Stunden das Steuer, ohne Unterbrechung. Nach knapp drei Tagen erreichen wir die Vestmannaeyjar, die Westmännerinseln, vor der Südküste Islands. und können noch schnell vor der Fähre durch die schmale Einfahrt in den Hafen huschen. Eine Serie von Vulkanausbrüchen hat 1973 die Hafeneinfahrt fast ganz verschlossen und die halbe Stadt unter sich begraben. Mit uns liegt noch eine weitere Yacht im Hafen - die Freydis von Heide und Erich Wilts. Als die beiden von ihrer Wanderung zurückkommen und die österreichische Flagge sehen, wird Gerald als alter Bekannter erst einmal spaßeshalber mit “Wir dachten Du bist schon tot” begrüßt.
Mit Zwischenstopps in Grindavik und Hafnarfjörður und den ersten bis zu 42 Grad heißen Quellen in Freibädern (für etwa 3 Euro Eintritt pro Person) hangeln wir uns die Küste entlang bis Reykjavik. Leider liegen wir am äußeren, sehr windanfälligen Gästesteg und werden direkt am ersten Morgen ordentlich durchgeschüttelt. Dem vor uns liegenden norwegischen Boot bricht sogar eine Leine.
Wir haben Zeit. Zwei Tage lang erkunden Island. Über den Golden Circle, dem Gullni hringurinn, mit den inzwischen doch schon touristischen Highlights Thingvellir, dem Großen Geysir und dem zuverlässigen Geysir Strokkur, der alle zehn Minuten ausbricht, dem Wasserfall Gullfoss, als der „goldene Wasserfall“ Namenspatron des Circels, und dem Hochland geht es bis an die Nordküste nach Akureyri am Fuße des Fjordes Eyjafjödur. Die übrige Zeit verbringen wir mit den Vorbereitungen auf unseren Sprung nach Grönland. So montieren wir unter anderem einen Eisschutz aus Aluminium am Bug und versuchen vergeblich unsere Gasflaschen aufzufüllen. Das Thema Gas wird uns leider noch bis Kanada begleiten, da wir keine passenden Adapter haben und deutsche Gasflaschen quasi nirgends nachgefüllt werden können. In Reykjavik sehen wir auch die letzten Yachten unter deutscher Flagge (Österreicher haben wir keine getroffen).
Orkan vor Grönland
Am Freitag, dem 28. Juni 2019, ist es schließlich soweit – Wir starten früh morgens, unser Ziel: der Prins Christian Sund, Grönland. Der rund 100 Kilometer lange Fjord erstreckt sich zwischen den Inseln, unter anderem auch Kap Farvel, und der Südspitze Grönlands.
Die ersten Etmale liegen bei 130 Seemeilen, womit wir eigentlich ganz zufrieden sind. Am Dienstag fällt dann aber das Barometer relativ schnell von 998 hp auf 980 hp und auch die Windprognosen über Satellitentelefon kündigen 40 bis 45 Knoten an. Wir unter Maschine das dritte Reff ins Groß binden, doch die Schraube ist blockiert, wir müssen auf den Motor verzichten.. Da wir hier ohnehin alle sechs Stunden eine Positionsmeldung an die dänische Marine, die für Grönland zuständig ist, abgeben müssen, informieren wir sie auch gleich über unser Motorproblem. .
Gegen 22 Uhr nimmt der Wind noch einmal deutlich auf die angekündigten 45 Knoten zu und wir versuchen, mit festgezurrtem Ruder und nur unter Sturmfock einigermaßen Höhe zu halten. Als wir kurz vor Mitternacht plötzlich stark krängen, trauen wir unseren Augen kaum: Die Rollgenua hat sich knapp unter dem Top auf einer Länge von eineinhalb Metern aufgerollt und liegt damit voll im Wind. In den zwei bis drei Minuten, in denen wir noch versuchen, das Segel wieder aufzurollen, fliegt das in Norwegen noch teuer nachgenähte Achterliek bereits in Fetzen und der Druck auf den Masttop ist mehr als nur besorgniserregend. Während Gerald versucht, das Boot vor den Wind zu drehen (in den Wind waren wir ohne Motor chancenlos), springen Jakob und Sven mit einem Küchenmesser zwischen den Zähnen auf dem Vordeck herum und zerschneiden Fall, Schoten und Teile der Genua. Das ganze Segel oder besser das, was davon noch übrig ist, geht über Bord. Ohne Segel bleibt uns nun nichts anderes übrig, als die inzwischen 10 bis12 Meter hohen Wellen abzureiten. Wir bringen unsere zwei alten Reifen von einem Gartentraktor an jeweils 30 Meter Leine achtern aus, um Geschwindigkeit rauszunehmen und wechseln uns halbstündlich am Steuer ab. Über Satellitentelefon setzen wir einen Pan Pan-Call an die dänische Marine ab, die uns das nächstgelegene Kreuzfahrtschiff zur Unterstützung schickt - früheste Ankunftszeit in 18 Stunden. Außerdem macht sich ein Schiff der dänischen Marine auf den Weg, um uns gegebenenfalls abzuschleppen. Als wir die Kostenfrage dafür lieber via Satellitentelefon vorab mit unserer Versicherung klären wollen, bekommen wir folgende Antwort: “Das kommt nicht in Frage. Stürme gehören zum Segeln nun mal dazu. Wettern sie den Sturm ab und fahren sie zum nächsten Hafen. Dort rufen sie den Hafenmeister an und der hilft ihnen dann.” Erstaunt fragen wir uns, ob die nette Dame weiß, dass es an der grönländischen Ostküste relativ wenige Hafenmeister gibt. Wir sind doch sehr enttäuscht.
Noch einmal Glück gehabt
Als am Morgen der Wind etwas nachlässt, probieren wir es noch einmal mit dem Motor. . Anscheinend haben die Wellen die Schraube befreit, sodass er problemlos startet und wir unter Großsegel, Sturmfock und Motor wieder auf Kurs gehen können. Bis auf 18,6 Knoten Speed über Grund (für ein 11-Meter-Boot ohne Segel doch beachtlich), 63,2 Knoten Maximum Wind Speed und einer fehlenden Genua sind wir doch noch einmal mit einem Blauen Auge davongekommen. Um 14 Uhr erreicht uns über UKW die Nachfrage, ob es uns gut gehe. Als wir uns noch fragen, woher jetzt so plötzlich ein anderes Boot herkommt, bricht plötzlich ein Militärflugzeug durch die dichte Wolkendecke und dreht einen Kreis um unser Boot. Später erfahren wir, dass der Royal Arctic Command sich trotz unserer Entwarnung noch ein Bild davon machen wollte, wie es uns geht und dafür extra den Flieger losgeschickt hat. Wir sind gerührt und die Stimmung an Bord steigt wieder.
Zwei Tage später erreichen wir Südgrönland und laufen bei strahlendem Sonnenschein in den Prins Christian Sund ein. Begrüßt werden wir von einem traumhaften Panorama aus Eisbergen, echten Bergen und sogar einem Green Flash zum Sonnenuntergang. Wir legen uns in das schmale Becken bei der leider mittlerweile unbemannten Wetterstation und lecken unsere Wunden. Abends taucht plötzlich ein großes Licht im Sund auf und bei genauerem Hinsehen können wir eine dänische Fregatte erkennen. Ein RIB mit vier voll ausgerüsteten Soldaten wird zu Wasser gelassen und landet neben unserem Boot. Während wir noch überlegen, was die wohl von uns wollen, kommt der mindestens zwei Meter große Kommandant mit langem Bart und ausgestrecktem Arm auf uns zu, lächelt bis über beide Ohren und sagt nur “Welcome to Greenland!”. Er war mit seiner Crew auf dem Weg, uns zu holen, und durchaus überrascht, dass wir es noch aus eigener Kraft geschafft haben. Zum Abschied meint er nur, wir sollen keinen Blödsinn machen, er sei nämlich die nächsten zwei Wochen an der Ostküste und könne uns nicht helfen. Unsere Einladung auf einen Austrian Navy Rum lehnt er dankend ab - strikt im Dienst.
Traumhaftes Südgrönland
Die nächsten fünf Tage liegen wir an der Wetterstation und sitzen dort den nächsten Sturm aus. Wir teilen uns das kleine Hafenbecken mit einer norwegischen Familie auf ihrer Hallberg Rassy 42, der Lykken III, und werden auf Pancakes eingeladen. Irene und Per fahren schon einen Tag vor uns durch den Sund und treffen dort auf Fallböen mit über 72 Knoten. Wir haben mehr Glück und erleben den Prins Christian Sund von seiner schönsten Seite mit Sonne, Gletschern und traumhaftem Bergpanorama. Abends machen wir in der ersten grönländischen Siedlung Aappilattoq an einer Yacht mit Kletterern aus Frankreich fest. Bei ihnen an Bord geht es ziemlich fröhlich zu, da ein Teil der Crew nach zwei ungeplanten Tagen im Fels und einer Begegnung mit einem Eisbären nun von einem Fischerboot sicher geborgen werden konnte. Abends werden wir zur Chorprobe in die kleine Kirche des 50-Einwohner-Dorfes geladen und lernen zum ersten Mal die Herzlichkeit der Grönländer kennen.
In Nanortalik, der ersten größeren “Stadt” mit rund 1500 Einwohnern treffen wir ein paar Yachten (viele auf dem Weg in die NW-Passage), können einkaufen und dürfen in der lokalen Polizeistation neben der Gefängniszelle duschen. Außerdem erleben wir das erste grönländische Fußballspiel und ausgelassene wie stark alkoholisierte Grönländer. Die nächsten Tage hangeln wir uns die Küste entlang und baden wie schon die Wikinger, allerdings mit kaltem österreichischen Naturradler in der Hand, in der heißen Quelle von Uunartoq (33°C). Einige Inuit-Familien haben in der Nähe ein Zeltlager aufgebaut und planschen ebenfalls fröhlich in der Quelle, die meisten sichtlich gut genährt. Als wir später an ihrem Lager vorbeikommen, werden wir eingeladen, die Walfleischsuppe zu probieren. Eine Inuit-Dame macht mit guten Englischkenntnissen den Dolmetscher für alle und wir verbringen einen lustigen, entspannten Abend.
Im Sommer steht meist ein Hoch über Grönland, sodass wir wenig bis gar keinen Wind haben und viel motoren müssen. Wir sehen riesige, oft über 100 Meter lange Eisberge, einige Wale und besuchen bewohnte und unbewohnte Buchten. In der Stadt Qaqortoq treffen wir die ersten Kreuzfahrtschiffe mit deutschen Rentnern an Bord, die von einem Grönländer in Eisbärenkostüm begrüßt werden.
Nach vielen erfolglosen Versuchen klappt es dann tatsächlich auch mit dem Angeln. und wir können innerhalb von nur frischen Dorsch für die nächsten drei Tage aus dem Wasser ziehen. Morgens und abends ist der Druck aufs Knöpfchen für die Warmluftheizung gefragt, ansonsten sind die Temperaturen moderat.
Weiter nördlich in Paamiut wird werden wir von Adam, einem Thailänder, der das lokale und einzige Gasthaus betreibt, gut verköstigt und bekommen auch gleich noch eine heiße Dusche. Im Supermarkt werden wir von Grönländern ausgelacht, die sich über unsere - mittlerweile doch ansehnlichen - Bärte lustig machen. In Færingehavn, einem einstigen Hafen, der 1927 als Stützpunkt für die färöischen Fischer eröffnet wurde, besuchen wir die verlassene Fischfabrik. Inzwischen ist es eine Geisterstadt mit riesigen Dieselmotoren und Kühlmaschinen sowie einem Gemeinschaftssaal mit Bühne, Rednerpult und Klavier.
Am Mittwoch, dem 31. Juli 2019 erreichen wir nach 101 Tagen die grönländische Hauptstadt Nuuk und gehen längs an Lykken III, an deren Baum ein großer “Just Married” Banner hängt. Irenes Sohn hat geheiratet und die Hochzeitsreise geht von Grönland per Segelboot zurück nach Norwegen.
Wir erkunden auf einer ungeplant siebenstündigen Wanderung einen Eis-Fjord im Norden von Nuuk (Kapisillit) und erreichen auf 64°33,3‘ N, 51°01,4 W den nördlichsten Punkt unserer Reise. Für das Abendessen werden wieder im Minutentakt frische Dorsche aufs Deck gezogen. Teilweise haben wir bis zu drei Fische an einer Leine. In Nuuk überprüfen wir das Glühsystem des Motors, da er sich kalt nur sehr schwer starten lässt. Leider liegt der Kontaktfehler im Kabelbaum, sodass wir erst einmal damit leben müssen. Von Fabienne und Emilien auf ihren zwei sehr “individuellen” Stahlyachten holen wir uns noch Tipps für Kanada und treffen die vermutlich einzige grönländische Segelyacht, die vor ein paar Wochen von ihrer Weltreise zurückgekehrt ist. Kurz vor unserer geplanten Abfahrt erleben wir noch gleich zweimal Seglerkameradschaft par excellence: Erst dürfen wir unsere Wassertanks statt mit dem umständlichen Feuerwehrschlauch direkt aus den 6000-Liter-Tanks der 55 Meter langen Kamaxitha befüllen. Die Luxus-Segelyacht ist auf dem Weg in die Nordwestpassage. Dann treffen wir die Holländer Jannie und Jacco, die uns nicht nur auf Pancakes einladen, sondern uns auch ihr altes Vorsegel der Maike-Saadet schenken. Auch wenn das Vorliek einen Meter zu lang ist, wird das Segel von da an fast jeden Tag von uns genutzt. Der freundliche Franzose Antonin, den wir bereits in Island kennengelernt haben, ist mittlerweile schon weiter im Norden, braucht aber bis zu 0,5 Liter Motoröl pro Tag auf dem Weg in die NW-Passage. Er wird es allerdings bis Hawaii schaffen. Bei den rund 30 Segelyachten, die im Jahr in Nuuk festmachen, hilft noch jeder jedem.
Der letzte große Schlag - wir sind in Amerika!
Am 12. August laufen wir Richtung Labrador aus. Bei sieben Knoten Fahrt (mit der neuen alten Genua), dichtem Nebel und vielen Eisbergen leistet das Radar wunderbaren Dienst. Nach fünf Tagen biegen wir in die Bucht von Okak ein - wir sind in Amerika! Zwei Tage später erreichen wir mit Nain die nördlichste dauerhaft bewohnte Siedlung Labradors. Das Klima ist deutlich rauer als auf Grönland, die Menschen jedoch mindestens genauso freundlich. Wir wandern die rund 15 Minuten mit leeren Kanistern zur Tankstelle. Kaum wollen wir den beschwerlichen Rückweg antreten, hält jedoch bereits ein Pick-up und nimmt uns mit. Es ist die Dame aus dem Supermarkt, die uns zuvor mit den leeren Kanistern gesehen hat. Sie ist extra nach Hause gegangen, um ihr Auto zu holen und uns zurück zum Boot zu kutschieren. Einer Truppe 18-jähriger Kanadier zweigen wir unser Boot. Sie sind gerade sechs Wochen alleine mit Kanus durch Labrador gepaddelt. Die Hälfte der Zeit haben sie ihre Kanus auf den Schultern getragen.. Da kommt uns Nanook II doch sehr komfortabel vor. Auch wenn wir auf unserer Reise nie ein kleineres Segelboot als unseres getroffen haben.
Wir segeln wieder in Tagestörns nach Süden, meist bei relativ kaltem Regenwetter und vielen riesigen Eisbergen. Einer davon bricht quasi direkt neben uns in Stücke, einmal touchieren wir auch eine kleine Eisscholle. Unser Eisschutz hat sich übrigens direkt mit der Genua im Sturm vor Grönland verabschiedet. Vermutlich hat sich das abgeschnittene Segel darin verhangen und ihn einfach abgerissen. Über den Fischerhafen von Makkovik, Black Tickles, Square Island und Fox Harbour erreichen wir den Museumshafen Battle Harbour. In dem wahnsinnig engen Hafen lagen früher hunderte Boote von Neufundländern, die für den Sommer zum Dorschfischen nach Labrador gesegelt sind. Oft bekommen wir von Fischern etwas ihrer kostbaren Fracht geschenkt, manchmal frischen Dorsch, manchmal auch den seit Grönland von uns geliebten Arctic Char, dem Seesaibling,(teilweise sogar schon als tiefgekühltes Filet direkt vom Fischerboot). Über Nacht segeln wir nach St. Lunaire an der Nordspitze von Neufundland. Wir haben diesen Hafen gewählt, da die flache Bucht von L'Anse aux Meadows nach Nordwesten offen ist und wir das Boot dort nicht allein vor Anker liegen lassen wollen. Kaum sind wir 100 Meter Richtung Hauptstraße gewandert, werden wir auch direkt von einem freundlichen Neufundländer eingesammelt und die 30 Minuten zur Ausgrabungsstätte in die für ihn völlig falsche Richtung gefahren. Heute sind von L'Anse aux Meadows eigentlich nur mehr grüne Hügelchen übrig, dennoch haben wir unsere Runde im Kielwasser der Wikinger damit am 29. September .2019 beendet - nach 4 432 Seemeilen.
Ab ins Winterlager
Die letzten 100 Seemeilen zu unserem Winterlager in Lewisporte, Neufundland, genießen wir in einem traumhaften, in unseren Breiten aber sehr unbekannten Revier. Über St. Anthony, Conche, La Scie und Exploits Islands treffen wir immer wieder auf ausgesprochen freundliche Menschen und schöne Buchten. Dazu immer wieder Wale und hunderte springfreudige Squid Hounds, Weißseitendelfine die ihre Kunststücke vorführen. Nach 138 Tagen und 4 626 Seemeilen mit 75 Häfen und Buchten erreichen wir Lewisporte. Uns bleibt nun rund eine Woche, um das Boot an Land auf einen Winter mit bis zu -30 Grad vorzubereiten. Auch hier sind wieder alle ausgesprochen freundlich, fahren uns überall hin und laden uns im Clubhaus zum Dinner ein. Peter Watkins, die lokale Berühmtheit und Autor des Revierführers steht nur zwei Stunden nach unserer Ankunft neben unserem Boot und bietet uns seine Hilfe an. Am 16. September bringt er uns noch zum Bus nach St. John’s, von wo aus wir zwei Tage später zurück nach Europa fliegen. Leider erfahren wir Anfang 2020, dass Peter verstorben ist.
Unsere Pläne, 2020 bis zu Freunden in Maine, USA, zu segeln, mussten wir leider aufgrund von COVID19 verwerfen. So steht Nanook II nun noch einen weiteren Winter in Lewisporte und wird von den lokalen Clubmitgliedern umsorgt. Insgesamt können wir nur unheimlich froh sein, dass wir diese Reise im letzten Jahr unternehmen durften. Außerdem möchten wir uns bei allen TO Mitgliedern bedanken, die uns in der Vorbereitung und während der Reise mit Rat, Tat, Seekarten und Wetterinfos unterstützt haben. Auch wir stehen natürlich immer gerne für Fragen und Erfahrungsaustausch zur Verfügung.
Sven Lackinger und Gerald Edlinger/TO-Stützpunktleiter in Graz (Text und Fotos)