Gut viereinhalb Jahre segelten Inga Hinrichsen und Norbert Damm zusammen auf ihrer Marisol, einer Contest 35, über die Weltmeere. Vor der Corona-Pause führte sie ihr Kurs über den Pazifik, von Panama zu den Marquesas. Nun nehmen sie nehmen mit in die Weite des Stillen Ozeans - während sie momentan in Deutschland darauf warten, ihre Reise um die Welt fortsetzen zu können.
Es ist stockdunkel. Außerhalb des Cockpits, das vom Widerschein des Hecklichts erleuchtet wird, sehe ich nichts. Doch ich höre ein Prusten, oder mehrere?
Vor vier Tagen haben wir die Las Perlas vor Panama verlassen und uns auf den weiten Weg zu den Marquesas gemacht. Fast 4000 Meilen liegen vor uns und erst wenige davon haben wir hinter uns gebracht. Wir haben sehr wenig Wind. Seit Stunden zeigt der Windmesser eine Null. Das Wasser ist spiegelglatt, das Boot liegt bewegungslos. Es ist unglaublich still. Ich sitze im Cockpit und lese meinen Krimi. Ab und zu vergesse ich, dass ich auf einem Boot bin. Dann höre ich wieder dieses Prusten. Schließlich hole ich die große Taschenlampe und leuchte vorsichtig die Umgebung ab. Nur wenige Meter entfernt treiben drei große schwarze Körper. Drei Wale schlafen neben uns. Ich mache das Licht schnell wieder aus, will ich sie doch nicht wecken. Ob sie neben unserer Marisol schlafen, weil sie sie für eine Kollegin halten? Oder erwarten sie gar Schutz? Ich weiß es nicht, freue mich aber über ihre Gesellschaft.
Die Kanalpassage
Am 25. März hatten wir den Transittermin für den Panamakanal. Bisher hatte ich die Passage als eine notwenige Übung betrachtet. Irgendwie muss man ja vom Atlantik in den Pazifik kommen. Tatsächlich stellte sich die Durchfahrt als großartiges Erlebnis heraus. Mein Vater reiste einige Tage vorher an, um uns zu begleiten, und wir fanden mit Thomas und Cara zwei weitere Linehandler, die bei bester Laune fleißig mit anpackten. Unser kleines, 35 Fuß langes Boot war mit den sechs Personen, dem zusätzlichen Gepäck, dem Proviant für die Zeit im Pazifik und den Getränken für den Kanal hoffnungslos überladen und lag so tief im Wasser wie nie zuvor.
Nach einem chaotischen Schleusenmanöver im Dreierpäckchen, einem lustigen Ankerabend auf dem Gatunsee, einer Nacht, in der wir alle wenig geschlafen haben, und einer langen Kanalfahrt mit maximaler Geschwindigkeit erreichen wir schließlich die Miraflores-Schleuse. Auch bei diesem Schleusenmanöver geht es hektisch zu, auf dem in der Mitte liegenden Schiff kann niemand einen Knoten machen. Doch alles geht gut. Das dritte Schleusentor öffnet sich und wir fahren hinaus auf den Pazifik. Müde und glücklich machen wir an einer Boje des Balboa Yacht Clubs fest, feiern unsere Ankunft und fallen erschöpft ins Bett.
Schiffe gucken
Der Balboa Yacht Club hat einen schlechten Ruf. Das Wasser ist schmutzig, die Boote der Agenten machen einen unglaublichen Schwell, die großen Schiffe, die in den Kanal fahren, kommen dicht vorbei. Uns gefällt es hier, mittendrin statt nur dabei. Welthandel zum Anfassen. Wir „gucken Schiffe“, genießen die Nähe zur Stadt und den Service des Wassertaxis, der uns zu jeder beliebigen Zeit abholt oder zurück an Bord bringt. Wir besichtigen die Schleusen und besuchen das Kanalmuseum, schlendern durch die Altstadt und genießen den nächtlichen Ausblick von einer der vielen Rooftop-Bars. Schließlich verabschieden wir meinen Vater, kaufen Obst und Gemüse und klarieren aus.
Ein Start mit Hindernissen
Endlich lösen wir unsere Bojenleine und machen den Weg zu den 40 Meilen entfernten Las Perlas Inseln. Auf halber Strecke meldet sich der Wasseralarm, wir haben Wasser in der Bilge. Die Diagnose auf See ergibt Wassereinbruch an Ruderkoker. Schweren Herzens drehen wir um und ankern vor Las Playitas. Zum Glück können wir uns mit Bordmitteln helfen und müssen nicht wieder einklarieren. Am nächsten Morgen sind wir wieder unterwegs, das Wasser ist spiegelglatt, kein Windhauch kräuselt die Oberfläche. Wir legen die Strecke unter Motor zurück, wir wollen Panama City hinter uns lassen.
Die Las Perlas gefallen uns. Felsige bewaldete Inseln mit weißen Stränden, die sich bei Niedrigwasser zeigen, traumhafte Ankerplätze, viele Fische und noch mehr Vögel. Wir verbringen tolle Abende mit Freunden, erkunden unbewohnte Inseln, klettern über Felsen und baden. Nachts sitzen wir an Deck und beobachten das Unterwasserfeuerwerk. Meeresleuchten der Extraklasse. Ein Schwarm kleiner Fische wird unter dem Boot von einer Gruppe größerer Räuber gejagt. Lichtblitze begleiten die Fische, ein Funkeln nach jedem Flossenschlag.
Gerne würden wir viel länger bleiben, doch wir haben bereits vor über einer Woche ausklariert. Wir wollen nicht all unsere frischen Vorräte aufessen, bevor wir überhaupt gestartet sind. Am 9. April 2019 segeln wir hinaus auf den Pazifik. Neben uns taucht ein Wal, das erscheint uns als gutes Omen.
Geduldsprobe
Die 1000 Seemeilen zwischen Panama und Galapagos werden für uns zu einer Geduldsprobe. Mal segeln wir, mal treiben wir. Wir sind bereits zufrieden, wenn wir in die richtige Richtung treiben und die Segel nicht schlagen. In der zweiten Nacht nach Verlassen der Las Perlas müssen wir die Maschine anwerfen, um zu verhindern, dass wir rückwärts ins Verkehrstrennungsgebiet treiben.
Das glatte Wasser beschert uns fantastische Tierbegegnungen. Immer wieder sehen wir Wale und Mantas, die in die Luft springen. Eine Gruppe Pilotwale begleitet uns und immer wieder haben wir Delfinbesuch. Bei spiegelglattem Wasser müssen wir feststellen, dass wir von einer kleinen Schildkröte überholt werden. Sie schwimmt so dicht unter der Wasseroberfläche, dass die Spitzen ihrer Brustflossen die Wasseroberfläche durchbrechen.
Als wir morgens einmal wieder überhaupt keinen Wind haben, beschließen wir zu baden. Norbert ist zuerst dran und ich mache Witze, dass er erst mal testen solle, ob die Haie hungrig sind. Norbert badet ausgiebig, dann bin ich dran. Ich bin gerade die Leiter hinuntergeklettert als hinter uns die charakteristischen Flossen eines Hais auftauchen. So schnell bin ich noch nie die Badeleiter hochgeklettert.
Heftige Gewitter unterbrechen das gemütliche Dümpeln. Jetzt kommen wir kurzzeitig gut voran, wir segeln in die richtige Richtung, doch die immer näherkommenden Blitze machen mir Angst. Warum kommen Gewitter immer (!) in meiner Wache? Neben uns schlägt ein Blitz ein, Norbert kann den Strom sogar in der Koje riechen. Wie durch ein Wunder passiert uns nichts.
Die Nächte halten weitere unheimliche Ereignisse für uns bereit, ein unbeleuchtetes US-Kriegsschiff überholt uns lautlos, die kolumbianische Coastguard nähert sich im offenen Boot bis auf 20 Meter, schaltet erst dann ihre Lichter ein, leuchtet uns an und verschwindet in der Dunkelheit.
Wechselnde Winde, Gewitterböen und starker Regen sorgen für viele Segelmanöver. Wir sehnen einigermaßen stabile Passatwinde herbei. Als der Wind auf Süd dreht, entscheiden wir schließlich, unser Glück nördlich der Galapagos zu suchen und nicht wie geplant einen Kurs südlich der Inseln einzuschlagen.
Letztlich brauchen wir zweieinhalb Wochen von den Las Perlas bis wir Galapagos nördlich passieren. Nach 16 Tagen sind wir 1200 Seemeilen gesegelt, weitere 3000 Seemeilen trennen uns noch von den Marquesas. Gleich mehrere Tage mit Etmalen um die 45 Seemeilen stehen in unserem Logbuch.
Dieser Reiseabschnitt wird uns später den Spitznamen „Kolumbus“ einbringen und den Ruf knallharter Segler, die nicht motoren. Dabei handelt es sich um eine nicht ganz freiwillige Entscheidung. Wir würden motoren, aber wohin? Unsere Tankkapazitäten sind begrenzt. Außerdem wollen wir unsere Reserven nicht anbrechen, wer weiß, was auf den nächsten 3000 Seemeilen passiert. Abgesehen davon, dass wir nicht vorankommen, geht es uns ausgezeichnet, wir schlafen gut, kochen ausgiebig und lesen viel. Ich schaffe fast ein Buch pro Tag. Knallhart fühlen wir uns nicht.
Wir haben ein Problem
In Panama haben wir unseren Windex getauscht, samt Sensor an der Mastspitze und Kabel. Das Kabel verläuft in einer Nut im Mast. Oder, eigentlich muss es heißen dort verlief es bisher. Es hat seinen Weg ins Freie gefunden und hängt nun in einer Schlinge zwischen den Mastrutschern heraus. In einer Aktion, die uns stundenlang beschäftigt, schaffen wir es, dass Kabel so weit zurück in den Mast zu ziehen, dass wir das Groß bergen können. Norbert wagt sich in den Mast und es gelingt uns, das Kabel komplett aus der Nut herauszuziehen und außerhalb des Mastes an unseren Maststufen entlang nach unten zu verlegen. Wir sind beide sehr erleichtert, als Norbert, zwar mit einigen blauen Flecken aber sonst wohlbehalten wieder mit beiden Füßen an Deck steht.
Endlich Passatwind
Der Wind hat uns nicht wieder verlassen und wir genießen flottes Segeln mit stabilen Winden. Der Strom schiebt uns nach Westen. Die Tage gehen ineinander über. Gestern, heute, morgen. Alles verschwimmt. Wir freuen uns über die gefiederte Reisebegleitung. Tölpel streiten sich um die besten Plätze auf dem Bugkorb und die „grüne Gang“, wie wir die weißen Vögel taufen, fischt nachts im Licht der Steuerbordlaterne. Einmal beobachten wir ein ganz besonderes Spektakel. Hunderte Delfine kreisen Fischschwärme ein, kreisende Seevögel beteiligen sich am Festessen. Wir beobachten die jagenden Delfine durchs Fernglas und können uns gar nicht satt sehen.
Als wir zum dritten Mal auf unserer Reise über den Äquator segeln, merkt Neptun an, dass Norbert sehr wuschelig sei und mal wieder zum Frisör müsse. Also schneide ich ihm die Haare. Trotz recht ruppigen Seegangs und dem Wechsel auf den Haarschneider (nicht, dass ihm nachher ein Ohr fehlt) gelingt die Frisur erstaunlich gut. Wir feiern Ostern, Bergfest, den Tag der Arbeit und Norberts Geburtstag.
Immer wieder haben wir Tage mit steilem ungemütlichem Seegang, die erhoffte lange Ozeandünung will sich nicht einstellen. Wir werden ordentlich durchgeschüttelt und müssen uns immer festhalten. Das macht das Segeln anstrengend. Aber wir haben hier draußen keine Termine, Verpflichtungen, niemanden der etwas von uns will. Essen, schlafen, lesen, Podcast hören, ab und zu eine Mail schreiben und schlafen. Alle paar Tage fahren wir ein Manöver, mal segeln wir Schmetterling, auf einer Seite das Groß, auf der anderen Seite die ausgebaumte Genua, dann kommt der Wind wieder etwas südlicher und die Genua wechselt die Seite. Wegen des böigen Windes lassen wir das zweite Reff im Groß und rollen die Genua tagsüber weiter aus, um sie bei Anbruch der Dunkelheit wieder zu verkleinern. Mit unseren Etmalen sind wir jetzt sehr zufrieden 120, 130, 140, 150 Seemeilen. Freunde, die einen schnellen Kat segeln, wundern sich, dass wir ihnen gegenüber täglich nur wenige Meilen verlieren. Wir wundern uns auch.
Schiffsbegegnungen auf hoher See
Nachdem wir die Verkehrstrennungsgebiete bei Panama hinter uns gelassen haben, rechnen wir nicht mehr mit vielen Schiffsbegegnungen. Doch auch abgesehen von den unheimlichen Begegnungen mit der US-Navy und der kolumbianischen Coastguard, sehen wir einige Schiffe. Eine Luxussegelyacht überholt uns und die Crew eines großen Seglers lädt uns auf ein Glas Wein ein, das wir auf den Marquesas zusammen trinken wollen. Eine Segelyacht segelt in gleichem Tempo, sodass wir sie zwei Nächte lang sehen, oft im Abstand von weniger als zwei Seemeilen, doch die Crew hat keine Lust, mit uns zu sprechen, und reagiert nicht auf Funkanrufe. Ein großes Containerschiff kommt irgendwo zwischen Galapagos und den Marquesas vorbei. Es fährt Panama - Auckland direkt.
Und dann sind da noch die Fischer. Eines Nachts, weit hinter Galapagos, sieht Norbert ein schwaches Licht, er denkt an einen weit entfernten Fischer. Bis er Stimmen hört. Die Männer fischen aus einem offenen 9-Meter-Boot, dirigieren ihn mit lautem Geschrei um ihr unbeleuchtetes Netz herum und bedanken sich überschwänglich für sein beherztes Ausweichmanöver. Am nächsten Tag kreuzt 200 Seemeilen westlich der Galapagos das Mutterschiff mit 12 offenen Booten im Schlepp. Es kommt uns so nahe, dass wir die Maschine starten müssen, um auszuweichen. Einige Meilen weiter sehen wir eines dieser kleinen Boote. Das Boot ist eine Meile entfernt und wir überlegen, ob das einzelne Boot die Beutefische für das nächtliche Fischen jagt, da taucht vor uns eine kleine Boje auf. Zwischen Boot und Boje spannt sich eine Leine. Nur wenige Meter vor uns kommt die zentimeterdicke Leine aus dem Wasser. Für uns ist es zu spät, wir können nicht mehr ausweichen. Eine große Welle hebt uns an und schiebt uns voran, die Leine verschwindet unter dem Schiff und taucht kurz hinter uns wieder auf. Nichts passiert. Wir haben unglaubliches Glück gehabt!
Ein Stimmungstief
Irgendwann haben wir keine Lust mehr. „Es könnte immer so weitergehen?“ Nicht für mich. An Tag 31 habe ich keine Lust mehr. Es sind „nur noch“ 1000 Seemeilen, doch das kann mich nicht aufmuntern. Ich möchte ankommen und ich möchte in einem Bett schlafen, das nicht schaukelt. Wir haben beide genug blaue Flecken.
Wir versuchen uns aufzumuntern, feiern sinnige und unsinnige Feste, gucken gemeinsam einen Film, essen gut und bekommen aufmunternde Post von Zuhause. Die Möglichkeit via Kurzwelle E-Mails von der Familie zu bekommen, ist wunderbar. Frische Mohnbrötchen zum Frühstück wirken Wunder und dann bekommen wir Besuch von einer großen Schule Delfine. Die Tiere begleiten uns stundenlang und kehren nachts sogar zurück. Sie sorgen für ein mystisches Spektakel, da sie einen Schweif Meeresleuchten hinter sich herziehen.
Die letzten Tage macht es wieder richtig Spaß, Marisol rauscht dahin und ich fühle mich unglaublich privilegiert, dass ich das erleben darf. Mitten auf diesem riesigen Ozean mit unserem Boot. Auch wenn uns in den letzten Nächten ein paar heftige Squalls erwischen und das Bordleben abwechslungsreich gestalten (warum kommen die höchsten Wellen eigentlich immer beim Kochen?), sind wir guter Dinge.
Ankunft auf den Marquesas
Am 17. Mai erreichen wir nach 38 Tagen endlich unser Ziel: Hiva Oa. 4000 Seemeilen lang hatte ich Zeit, mir Sorgen zu machen, habe ich über Atuona doch so viel Schlechtes gelesen, der Hafen sei eng und voll, der Ankergrund schlecht und überhaupt alles furchtbar schwierig. Und dann ist es ganz einfach.
Bei Tagesanbruch schält sich die Silhouette Hiva Oas aus den Wolken. Um zehn Uhr erreichen wir die Bucht, die uns nach der langen Reise über den weiten Ozean eng erscheint. Als wir die Mole passieren, kommen uns Freunde im Schlauchboot entgegen. Katherine und Steve von der Gemini Sunset winken uns an einen freien Platz und bringen unseren Heckanker für uns aus. Als wir uns umschauen, stellen wir fest, dass wir viele der Yachten, die hier ankern bereits kennen. Claudia von der Hei-Jo rudert zu uns, reicht frisches Obst über den Seezaun und versorgt uns mit allen nötigen Informationen. Noch am gleichen Tag laufen wir in den Ort, freuen uns darüber unsere Waden endlich wieder zu fordern und belohnen uns mit Baguette und Camembert für die glückliche Reise.
Auch wenn es in Atuona wirklich voll ist und man seinen Heckanker unbedingt braucht, gefällt es uns. Der nette Ort, die grüne ruhige Insel, die entspannten Polynesier, die vielen Hühner und Pferde, der Seglertreff bei Sandra und großes Kino, wenn die Aranui, das kombinierte Container- und Kreuzfahrtschiff in den kleinen Hafen einläuft.
Sieben Wochen verbringen wir in den Marquesas, erkunden die Inseln, machen steile Bergwanderungen, freuen uns immer wieder über die Mantas an den Ankerplätzen, essen saftige Pampelmusen, erleben mit einem Motorschaden den Tiefpunkt unserer Reise, sammeln Mangos, küren Nuku Hiva zu unserer Lieblingsinsel und können uns nur schwer trennen. Doch hinter dem Horizont warten neue fantastische Ziele.
Text: Inga Hinrichsen, Fotos: Norbert Damm
sy-marisol.net