Segeln in Maine im Nordosten der USA
Reiseplanaenderung. Wir sind in Rhode Island. Danach hatten wir an Cuttyhunk, Marthas Vineyard, Nantucket, Cape Cod, geplant, alles Inseln beziehungsweise Halbinseln im US-Bundesstaat Massachusetts. Nach Norden schliessen sich dann nur noch New Hampshire und Maine an. Doch dann wird auf der COVID-19 USA-Karte auf der offiziellen Webseite von Massachusetts ein kleiner Fleck hier im nördlichen Lower-Risk-Gebit rot eingefärbt – ausgerechnet Rhode Island!
Einmal mehr disponieren wir um (hatten wir nicht ohnehin schon gesagt, dass wir keine Pläne haben, sondern eher … Ideen?). Also die eigentliche Idee war, langsam entlang der US-Ostküste weiter nach Norden zu bummeln.
Doch nun befinden wir uns plötzlich in einem Risikogebiet
Das bedeutet, bei einer Einreise von Rhode Island nach Massachusetts müssen wir jetzt entweder 14 Tage in Quarantäne oder einen PCR-COVID-19-Test auf uns nehmen. Wegen der (schon länger bestehenden) Regelung in Maine müssten wir dort bei der Einreise wieder einen solchen Test machen.
Wir beschließen, unsere Route zu ändern und direkt nach Maine durchzusegeln,, der reine Transit durch Massachusetts erfordert keinen Test. Bleiben die Regelungen auf dem heutigen Stand, müssten wir so nur einmal einen Test machen und dann in New Hampshire und Massachusetts wegen der Einreise aus einem Low-Risk-Bundesstaat nicht noch einmal. So weit, so gut.
Wieder einmal ist frühes Aufstehen angesagt, es gibt guten Segelwind und durch die Abfahrt schon um 5 Uhr morgens haben wir im Cape-Cod-Canal (CCC) mit seinen imposanten Brücken mitsetzenden Strom. Und der ist im CCC beachtlich: Wir messen bis zu knapp vier Knoten Strom in dem Kanal, der Cape Cod zur Insel macht und den Schiffen den weiten Umweg um die Flachs vor Nantucket erspart. Danach können wir mit Schmetterlingsbesegelung nordwärts Richtung Maine weiterziehen.
Und so geht es auch in (und durch) die Nacht, in der wir wegen des Meteorschauers der Perseiden auf jeder einzelnen dreistündigen Nachtwache mehrere kräftige Sternschnuppen sehen können – perfektes Timing, denn die Überbleibsel des Kometen Swift-Tuttle sind zwar über einen längeren Zeitraum zu sehen, haben aber 2020 genau in dieser Nacht ihren imposantesten Auftritt.
Interessant ist auch ein Blick auf die Entwicklung der Wassertemperatur. Hatten wir westlich des CCC noch 24,2 Grad, messen wir östlich des Kanals stetig fallende Werte bis hinunter auf 16,3 Grad. Danach steigt das Thermometer wieder. Bei unserer Ankunft am Leuchtturm Portland Head messen wir immerhin wieder 18,2 Grad.
Wir finden eine freie und für Floras Tiefgang gerade noch passende Boje im Centerboard Yacht Club gegenüber der Innenstadt, wo wir für 40 US-Dollar die Nacht festmachen dürfen. Ein wenig beobachten wir das Geschehen im hauptsächlich noch von Fischern geprägten Hafen, dann setzen wir mit dem Dinghy über und fahren mit dem Taxi zum etwas entfernt gelegenen “Walgreen’s Drugstore”, dem Covid-19-Testgelände. Nachdem gestern die Anmeldung per Webseite nicht funktionierte, wurde uns dazu per Kundentelefon geraten.
Es klappt leider trotzdem nicht
Die Dateneingabe vor Ort war nur bis vergangene Woche möglich, jetzt sind die Terminals abgebaut und nur noch Tests mit vorheriger Webanmeldung werden durchgeführt. Für Ausländer wie uns funktioniert das nicht, weil man aus einer Liste (amerikanischer) Krankenversicherungen auswählen muss oder – wenn eine solche nicht vorhanden ist – aus der Liste amerikanischer Bundesstaaten den auswählen muss, in dem der eigene Führerschein ausgestellt wurde. Sonst: . Die freundlichen Mitarbeiter erkennen das Problem, können jedoch keinen Workaround finden. Sie schicken uns weiter zur “Brighton Urgent Care Clinic”. Ein vorheriges Telefonat bestätigt: Geht, ohne Voranmeldung, auch für Ausländer. Also dann: Das Testergebnis des PCR-Tests gibt’s in 24 bis 48 Stunden.
Das ging schnell. Gestern Nachmittag den Test gemacht, heute Vormittag um 9:30 Uhr bekommen wir alle nacheinander den Anruf: Covidtest negativ. Super, wir dürfen uns frei bewegen und irgendwie löst das Testergebnis ein befreiendes Gefühl aus.
Ein weiteres (sehr positives) Ergebnis des negativen Testresultates ist, dass wir uns Portland noch ein wenig ansehen können. Und die Stadt gewinnt beim zweiten Blick deutlich. Zwar bleibt der Charme der in die Jahre gekommenen Hafenkante doch sehr rau, von Fischerei und Industrie geprägt, aber eben auch authentisch, nur gelegentlich mit romantisierenden Wandbildern aufgehübscht, nicht übertouristisch totrenoviert.
Portland überrascht
Und schon eine Querstraße weiter hoch in Richtung des Rathauses mit der fast ein bisschen an den Michel erinnernden Turmspitze finden sich nette kleine Geschäfte, diverse Bars, Eisdielen und vor allem: Restaurants. Portland soll eine der besten Kleinstädte für Foodies sein. Wir sind erst skeptisch, aber jedenfalls das aus einem Food-Truck hervorgegangene, von außen äußerst unscheinbar wirkende “mami” entpuppt sich als wunderbares japanisches Restaurant mit überraschender und super leckerer Küche.
Auch der Schrecken der Segler dieser Gegend, zugleich verantwortlich für Slalomfahrten, Propellerschäden (bitte nicht) und - in allererster Linie - Schlemmergenuss findet sich als Lokalkolorit und sogar mit nationalstolzem Dekor: die kleinen Bojen der Lobsterkörbe mit ihren kurzen und damit für Segler oft kaum sichtbaren Stangen oder Griffen.
Den Abend lassen wir auf der Terrasse des Centerboard Yacht Club ausklingen, auf der wir mit herrlichem Blick hinüber auf Portland auf unsere Wäsche in der clubeigenen und für Gäste kostenlos nutzbaren Waschmaschine beziehungsweise Trockner warten. Gutes kostenloses WLAN ist in den 40 Dollar Mooringgebühr ebenfalls enthalten.
Jetzt, da nach dem COVID-19-Test der Weg frei ist, Maine zu erkunden, segeln wir erst einmal weiter nach Nordosten. Ein bisschen kreuz und quer durch die an die schwedischen Schären erinnernde Landschaft mit ihren vielen felsigen Inseln. Delfin, oder vielleicht sind es auch Schweinswale, begleiten uns.
Wir können allerdings nicht immer vollkommen „frei“ segeln. Da sind zum einen die Felsen unter Wasser, die hier allerdings meist gut gekennzeichnet sind, häufig mit großen Glockentonnen. Zum anderen - und das ist die anspruchsvollere Herausforderung - sehen wir in diesen ersten Tagen hier in Maine schon Tausende von Fischertönnchen. Hört sich übertrieben an?
Lobster und immer wieder Lobster
Die Lobsterpots gehören zu Maine wie die Hummer, deren Fallen sie markieren. Unfassbare 100 000 Tonnen des Amerikanischen Hummers werden jährlich gefangen (nicht allein, aber eben doch zu einem großen Teil in Maine). Trotz dieser Befischung gilt die Population als stabil, sogar zunehmend. Allerdings müssen die Fischer ihre Fallen immer weiter draußen in größeren Tiefen aufstellen, weil die Wassertemperatur in Küstennähe spürbar angestiegen ist und die Lobster in tieferes kälteres Wasser ausweichen. 19,4 Grad Celsius messen wir heute unter Flora.
Ebenfalls typisch für Maine sind die Kiefern, die nicht nur viele der Inseln bedecken, sondern auch große Teile des Festlandes. Der offizielle Beiname des Bundesstaates ist denn auch „The Pine State“, der Kiefernstaat. An unserem ersten Ankerplatz in einer Bucht bei Small Point Harbor lassen wir die Drohne fliegen und können ganz gut erkennen, woher dieser Beiname kommt.
In unserer Ankerbucht liegen wir fast allein. Nur ein Einhandsegler kommt kurz vor Sonnenuntergang noch hinzu und ankert ein Stück hinter uns.
Für den nächsten Tag verholen wir uns wiederum weiter nach Nordosten, diesmal machen wir zur Abwechslung an einer Boje im belebteren Boothbay Harbor fest. Große Bojenfelder belegen den ganzen inneren Teil der Bucht. Weiter draußen könnten wir zwar ankern, aber die Bojen sind mit 35 Dollar pro Nacht eher günstig. Wir liegen vor dem Ostufer, an dem es zwar auch zwei kleinere Marinas und eine Bootstankstelle gibt, das sonst aber eher von den aktiven Lobsterfischern geprägt ist, während der durchaus hübsche aber eher touristischere Ortskern am Westufer liegt. Eine wiederaufgebaute historische Fußgängerbrücke verkürzt uns den Fußweg hinüber.
Auf dem Rückweg machen wir bei der Boothbay Lobster Wharf Station und bestellen uns unser Abendessen „to Dinghy“, da die rustikale Terrasse gut gefüllt ist, genießen wir unseren frisch gekochten Lobster lieber im Cockpit der Flora.
Und dann die Beeren
Jill kommt mit ihrem Kajak vorbei gepaddelt, wünscht uns „Guten Tag“ und bestellt dann auf Deutsch ein Bier bei uns. Wir kommen ins Gespräch und reichen ihr eine Dose „Schöfferhofer Grapefruit“ hinüber (hatten wir gerade in Portland gefunden). Und so gibt es zum Sonntagsfrühstück heute morgen ebenfalls lokale Leckereien, denn Jill kommt schon vor dem Frühstück erneut mit ihrem Paddelboot und bringt uns Bier aus der örtlichen Brauerei (testen wir heute Abend) und eine große Portion frische Wildblaubeeren, die zwar klein sind, aber unglaublich intensiv schmecken und perfekt zu unserem amerikanischen Frühstück mit French Toast und Bacon passen. Und als ob das nicht schon gastfreundlich genug wäre, bietet sie uns auch an, dass wir inihrem Appartement unsere Wäsche waschen und duschen könnten, sie uns zum Supermarktfährt und außerdem die Familienmooring in der nächsten Ankerbucht nehmen düften. WOW.
Boothbay Harbor verwöhnt uns nicht nur mit lokalen Köstlichkeiten, sondern auch mit einem dramatischen Sonnenuntergang.
Dabei richtet sich der Blick schon auf Southport Island, aber das wissen wir zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht. Montag morgen ergibt der Gang zum Außenborder-Schrauber am Fischerhafen, dass der leider keine Zeit für uns hat. Er empfiehlt - wie Jill ebenfalls - Hogdon Yacht Services in Boothbay-Southport. Wir schauen uns das auf der Seekarte an und stellen fest, dass der Townsend Gut tatsächlich Southport zu einer Insel macht. Der schmale Sund ist tief genug für Flora und die ihn überspannende Drehbrücke öffnet sich alle halbe Stunde. Schön, dann also da hindurch.
Wir machen nach einer wunderschönen Fahrt durch die Hintertür um die Insel an einer Boje von Hogdon Yacht Services auf 6 Metern Wassertiefe in der Maddock Cove fest. Zwar stellt sich dort heraus, dass hier nur Yamaha und Suzuki, aber keine Honda gewartet werden, aber immerhin kann ich einen für unseren Motor passenden Benzinfilter kaufen und mit etwas Bastelei die schlimmsten Symptome unseres Honda BF20 zumindest lindern, er geht jetzt nicht mehr aus sobald man Gas gibt.
Also können wir damit auch ruhigen Gewissens zu einem ausgedehnten Spaziergang an Land übersetzen. Die Marina bietet ein Dinghydock an einem Schwimmponton an. Bei rund zweieinhalb Metern Tidenhub ist das eine Notwendigkeit. Wir waren fast bei Hochwasser angekommen, aber das Wasser ist schon deutlich gefallen und es taucht eine Felsenkette auf. Auch bei unserem Gang über die Insel wird die Ebbe ein ums andere Mal deutlich sichtbar.
Aber auch der Wald macht unseren Spaziergang besonders. Der Geruch der Kiefern, das Schimmern des Atlantiks durch die Bäume und „Kunst im Wald“, die mal mehr mal weniger die natürlichen Gegebenheiten der Baumstämme einbezieht.
Im lokalen Southport General Store können wir noch ein paar Lebensmittel einkaufen, dann geht es zurück auf die Flora, die sich vom Dinghy aus in der Abendsonne ganz malerisch vor den mit braunem Tang überzogenen inzwischen hoch aus dem Wasser ragenden Felsen präsentiert. Ein Lobsterpot mitten im Bojenfeld darf natürlich auch nicht fehlen .
Wir sind inzwischen schwer beeindruckt von Maine
Warum? Schwerzu beschreiben - Die Landschaft, die Menschen, die Tide, die Ankerplätze, das Segeln und ab und zu auch die Herausforderungen der Lobsterpots.
Und das Lobster-Fest. Ein Fest für uns, nicht für die Lobster, obwohl oder gerade weil sie hier in Maine die Hauptdarsteller sind. Knapp über 100.000.000 pounds (Einhundert Millionen!) Lobster wurden von den rund 4 500 Lobstermen in Maine 2019 “geerntet” (wobei ein amerikanisches pound 0,454 kg entsprechen). Wohl auch wegen eines kalten, späten Frühlings keineswegs ein Rekord, 2016 waren es über 130 Millionen, aber eben doch im neunten Jahr in Folge über der neunstelligen Grenze.
Und dabei legen die Lobstermen Wert darauf, dass ihre Arbeit eine der nachhaltigsten Naturfischereien überhaupt sei. Eiertragende Weibchen werden nicht nur zurück ins Meer geworfen, sondern zuvor markiert, damit man sie auch ohne Eier als solche erkennen kann. Auch übergroße Männchen werden nicht gefangen, weil sich die großen älteren Weibchen nur mit mindestens gleichgroßen Männchen paaren.
Über die Vielzahl der Lobsterpots, also der mit Bojen gekennzeichneten Korbfallen, habe ich mich ja schon mehrfach ausgelassen. Selbst hier am Bojenplatz im Hafen von Bar Harbor gibt es so viele, dass nicht nur die Ansteuerungschwierig ist, sondern immer mal wieder auch eine direkt an unser Boot dengelt.
Das Gemeine daran ist, dass sich hier im Norden von Maine vermehrt Bojen finden, die mit einer kleineren Nachbarboje (zum Aufnehmen) mit einem Seil verbunden sind. Die bereiten uns mehr Kopfzerbrechen, weil die Gefahr für unseren Propeller oder auch unser Ruder dadurch erheblich steigt.
If life gives you lemons, make lemonade
Also sehen wir es positiv und sprechen die Besatzung der Fischerboote an, kaufen wiederholt fangfrischen Lobster von Studenten, die meist zu zweit auf den kleineren Lobsterbooten hier einen Ferienjob machen.
Aber natürlich schlemmen wir nicht nur. Wir erkunden den zwar touristischen, aber auch quirlig netten Ort Bar Harbor und gehen den Shore Path (kurz und vom Hafen aus am Ufer entlang) sowie den etwas längeren Great Meadow Loop, ein leichter Wanderweg, der überwiegend durch lichten Wald um einen Golfplatz herum und zurück zum Ort führt. Zum ersten Mal seit längerer Zeit mischen sich dabei auch viele Birken zwischen die Nadelbäume.
Von den 4 617 Inseln des Bundesstaates Maine ist “Mount Desert Island“ die mit Abstand größte. Zudem bietet sie mehrere gute Naturhäfen, darunter mit dem 9 km langen und 40 m tiefen Somes Sound den einzigen Fjord der US-Ostküste und vor allem den durch zwei natürliche Barren und mehrere Inseln geschützten “Bar Harbor”. Für den entscheiden wir uns.
Rund um den vorletzten Jahrhundertwechsel entdeckten Amerikas Superreiche die Insel für sich, nachdem zuvor Maler den Ort populär gemacht hatten. Die Rockefellers, Fords, Vanderbilts, Astors und Carnegies hatten hier ihre Sommersitze. Einige davon wurden bei einem verheerenden Waldbrand 1947 zerstört. Was aber blieb, sind die “Carriage Roads”, feste Schotterwege, die für Vergnügungsfahrten mit den Kutschen durch die großen von Seen durchzogenen Waldgebiete der Insel angelegt wurden. Heute sind sie herrliche Radwander- und Reitwege, die kreuz und quer durch den Arcadia-Nationalpark führen.
Und so mieten wir uns Fahrräder und erkunden auf einer 37 km langen Tour mit viel bergauf und bergab einen Teil der Insel.
Und nicht nur die Landschaft gefällt uns gut. Die rund 23 Grad, die wir hier im Moment tagsüber haben, machen die durchaus anstrengende Tour gut erträglich. Neben den vielen malerischen Ausblicken sorgen Streifen-Backenhörnchen für zusätzliche Kurzweil, immer wieder flitzen sie über den Weg, bleiben dann manchmal am Rand sitzen und scheinen uns so zu beobachten wie wir sie.
Strahlend blauer Himmel und sommerlich grün, auch wenn sich ganz vereinzelt schon erste Herbstfarben zeigen, so absolut nicht ihrem Namen entsprechend wüstenartig präsentiert sich uns auf dieser Tour Mount Desert Island.
Ganz anders dagegen der Blick hinaus am nächsten Morgen: die Farben sind weg, verschluckt vom Nebel, der in dichten Schwaden herumwabert und die morgendliche Stille noch zu verstärken scheint.
Sicher an der Boje liegend ist das ein faszinierender Anblick, aber jetzt durch die dichten Felder der Lobsterpots motoren zu müssen, möchte ich mir lieber nicht vorstellen. Anfangs kann ich kaum das Boot an der Nachbarmooring ausmachen, das gestern Abend noch zum Anfassen nahe schien. Aber dann setzt sich ganz langsam die Sonne immer mehr durch, brennt erste kleine Löcher in die graue Suppe, lässt manchmal schon den blauen Himmel über den vielen Booten in der Nebelbank erahnen.
Die Sonne hat gewonnen
Wir schnappen uns das Dinghy und fahren an Land, denn heute ist Farmers Market, also eine gute Chance für uns auf Wildheidelbeeren aus Maine, die man im Supermarkt nicht bekommt. Die von Jill in Boothbay Harbor geschenkten Heidelbeeren haben uns verwöhnt und angefixt, seitdem sind wir auf der Suche nach den kleinen aber intensiv schmeckenden Blaubeeren. Und tatsächlich, wir müssen zwar dafür einmal quer durch den Ort aber es lohnt sich. Wir finden nicht nur die Wildblaubeeren, sondern auch noch weitere lokale Köstlichkeiten wie etwa hausgemachten Ahornsirup.
Annemarie und Volker mit der Escape kommen nach Bar Harbor. Wir freuen uns, sie hier noch einmal zu treffen, denn sie wollen noch etwas weiter nach Norden und wir bummeln von hier ab wieder in Richtung Süden. Wir verbringen einen schönen Abend zusammen.Und am nächsten Morgen können wir die Escape im mystischen Morgennebel fotografieren. Erst als sich der Nebel etwas weiter gelichtet hat, machen wir uns dann auf den Weg. Im Slalom, na klar, wegen der Lobsterpots.
Ziel ist eigentlich Stonington, aber wir entscheiden uns kurzerhand um, als uns immer mal wieder Nebelbänke doch sehr auf die Pelle rücken. Swans Island lockt mit einem geschützten Ankerplatz, also biegen wir ab und der Anker fällt in der Mackerel Cove im Norden der Insel, wobei wir uns weit hinein tasten und hinter Roderick Head verkriechen, denn heute Nacht soll es kräftiger wehen.
Morgens dann … weiße Suppe. Das Tuten der Fähre und das Tuckern einiger Fischerboote dringt durch den Nebel. Umdrehen, weiterschlafen. Das hilft zumindest etwas. Die Blaubeerpfannkuchen helfen dann noch mehr .
Als das Ufer längere Zeit sichtbar bleibt machen wir uns auf den Weg, diesmal wirklich nach Stonington. Wir haben Glück, unterwegs reißt die Nebeldecke auf und als wir im „Schärengarten“ vor Stonington ankommen, lacht die Sonne vom strahlend blauen Himmel. Wirklich vieles erinnert uns hier an Schweden, wenngleich die ohnehin berüchtigte „Schären“-Navigation um die Komplikationen einer Tide von knapp 4 Metern und eben der LOBSTERPOTS erschwert ist.
Am späten Nachmittag fahren wir hinüber in die Stadt. Stonington liegt auf Deer Island, neben der Lobsterfischerei findet hier auch der Abbau von (rosafarbenem) Granit statt, der unter anderem für die Brooklyn Bridge genutzt wurde und ebenso für die Grabstätte von John F. und Jackie Kennedy auf dem Ehrenfriedhof in Arlington. Der Ort selbst ist stark von der Fischerei geprägt. Touristen scheinen sich nur wenige hierher zu verirren, aber uns gefällt das Städtchen gerade deshalb ausgesprochen gut. Bloß die Einkaufsmöglichkeiten im Supermarkt sind eher bescheiden, dafür bietet er aber Unterschlupf vor dem heftigen Gewitter.
Die Kissen im Cockpit sind inzwischen getrocknet. Zu unserer Freude wurden wir wieder von der Sonne am blauen Himmel geweckt und konnten den trotz Kelp super haltenden Spade-Anker hochholen und uns auf den Weg zum nächsten tollen Ankerplatz machen. Auf Empfehlung der Escape Crew ist es diesmal Seal Bay auf Vinalhaven Island nur 8 Seemeilen westlich. Die können wir hoch am Wind segeln (wobei Slalom hoch am Wind eigentlich eine Sonderdisziplin sein sollte). Bei bis zu 30 Knoten scheinbarem Wind eine schräge Angelegenheit.
Eine lange Sommerreise
Kaum zu fassen, aber wir erleben seit über 14 Monaten durchgehend Sommer. Routenbedingt natürlich, denn den kalendarische Herbst, Winter und Frühling haben wir in den Kanaren, Kapverden und der Karibik. Als es in den USA in der Chesapeake Bay hochsommerlich SEHR heiß wurde, sind wir – wie es auch viele Amerikaner gerne tun – nach New York und weiter hinauf in die Neuengland-Staaten gesegelt. Und nun wird es frisch.
Derzeit sind keine kurzen Hosen, sondern Jeans, Pullover oder Jacke und sogar Mütze angesagt, es ist frisch geworden. Fühlt sich gut an und stört uns überhaupt nicht, sondern ist vielmehr eine wirklich willkommene Abwechslung.
Trotzdem sind unsere Tage hier im wunderschönen Maine gezählt, denn morgen gibt es auf absehbare Zeit (zumindest für die nächste Woche) das einzige annehmbare Wetterfenster für einen Schlag nach Süden. Nicht perfekt, aber wohl machbar. Wir wären zwar gerne noch ein wenig durch Maines Inselwelt gebummelt, aber wir möchten auch Cape Cod, Martha’s Vineyard und nach Möglichkeit Nantucket noch erkunden und noch ein paar (Wartungs-)Arbeiten in einer Werft in der Chesapeake Bay vornehmen. Dann also los in Richtung Süden.
Maine macht uns den Abschied nicht leicht, zeigt sich beim Törn nach Rockland und auch auf der Weiterfahrt nach Port Clyde erst einmal von seine sonnig schönen (trotzdem frischen) Seite.
Und auch Port Clyde, von dem wir bisher nur den Ankerplatz auf der anderen Seite der Barre kennen, gefällt uns richtig gut. Wir machen an einer Gästeboje des “General Store” fest. Mit dem Dinghy setzen wir über, bezahlen im Store und kaufen noch ein paar Lebensmittel ein. Unter anderem auch wieder Hummer, der selbst in diesem urigen Supermarkt frisch aus dem Wasser geholt wird und supergünstig ist (etwa 7 bis 8 US-Dollar pro Hummer). Noch ein kurzer Gang durch den Ort, die für Maine typische Holzkirche mit ihrer von uns so noch nicht gesehenen “Wetter-Taube” bewundern und schwupp – schon wieder ist ein Tag um.
Heute morgen dann ein ganz anderes Bild. Zunächst regnet es wie vorhergesagt. Die Crew eines Nachbarbootes ist mit ihrem Hund an Land, auf der Rückfahrt fällt der Elektroaußenborder aus, natürlich in einer kräftigen Böe und bei Gegenstrom. Die beiden mühen sich paddelnd ab, treiben aber immer weiter weg. Ich kann sie aber mit unserem Dinghy einfangen und zu ihrem Boot schleppen, zum Glück tut unser Außenborder diesmal brav seinen Dienst. Am Nachmittag hört der Regen auf, vorhergesagt waren jetzt Gewitter. Statt dessen: Flaute und Nebel.
Maine-Stimmung und ein bisschen wie ein vorgezogener Herbst.
Ralf Gerking (Text und Fotos), SY Flora, www.syflora.blog