Das Meer – dies ist ein aus dreierlei Gründen spannendes Buch: Das Thema, die Story und – das Genre. Welches, so sagt es jedenfalls der Autor selbst, gar keines ist. Er sei weder ein „Genre-Schreiber“, noch ein Literat. Es ist also quasi ein Hybrid-Werk, ein Thriller zur Unterhaltung, aber auch mit literarischem Anspruch. Oder auch nicht, das kann uns Lesern dann letztendlich ebenso gleich sein wie dem Autor selbst. Was er hingegen möchte, und das ist ihm gelungen, ist folgendes: „Ich versuche schon, das typische American Storytelling mit ganz europäischen Themen zu verbinden.“
Das Thema also, es geht um illegale aber weltweit mafiös organisierte Raubfischerei; die ganz offenbar in einem erschreckenden Ausmaß stattfindet und das obendrein noch unter grausamen Bedingungen: Riesige Trawler, die jahrelang nicht an Land kommen, sondern die Weltmeere leer fischen, die auf See be- und entladen werden und die vor allem mit asiatischen Sklaven bemannt sind. Man mag es sich gar nicht vorstellen. Die Politik, auch die EU in Brüssel, hat dem offenbar rein gar nichts entgegen zu setzen. In Brüssel übrigens kennt sich der Autor aus, ist er doch im Hauptberuf dort Dolmetscher und Übersetzer im Hauptquartier der EU. Das also ist das große Thema: Was macht die Menschheit mit unserer Welt. Und warum macht sie es.
Dann wäre da die eigentliche, sehr dramatische und spannende Story. Ragna, die Tochter eines zynischen Cheflobbyisten, ist Meeresbiologin, vor allem aber eine sehr extremistische und militante Öko-Aktivistin; man könnte auch sagen: Öko-Terroristin. Allerdings wird auch dies in diesem Buch deutlich: Da die schwerfällige und zahnlose Politik so gut wie gar nichts ausrichten kann, scheinen tatsächlich solche extremen Aktionen wie hier geplant die einzigen Maßnahmen zu sein, die überhaupt noch etwas ausrichten.
Da wäre zunächst Teresa, die als Fischereibeauftragte auf einem spanischen Fischfangschiff mitfährt – offiziell, um die Einhaltung der EU-Quoten und Vorschriften zu überwachen. Was an sich schon ein „Mords“-Job ist, denn tatsächlich kam es schon mehrfach vor, dass solche Beobachter auf hoher See verschwanden. Über Bord gefallen, vielleicht, wer weiß es schon genau. Die Crew hält zusammen, Zeugen gibt es keine. Doch Teresa hat noch eine zweite, geheime Agenda, im Auftrag der radikalen Umwelttruppe von Ragna. Doch dann verschwindet sie, ihr Geliebter John Render von der zuständigen EU-Behörde in Brüssel ist am Boden zerstört.
Doch auch Ragnas Vater, mit sie schon seit Jahren kein Wort mehr gewechselt hat, sieht sich zum Handeln gezwungen als deutlich wird, dass seine Tochter als Umwelktaktivistin die Geschäfte seiner Auftraggeber empfindlich stört. Um sie zu finden, heuert er den jungen Dolmetscher Adrian an, der vor vielen Jahren eine leidenschaftliche Affäre mit ihr gehabt hatte. „Drei Männer auf einer verzweifelten Suche, zwei Frauen in Todesgefahr – und zwischen ihnen der brutale Apparat der globalen Fischereimafia, eine gleichgültige Öffentlichkeit und eine handlungsunfähige Politik: Wolfram Fleischhauer entwirft ein erschreckend realistisches Katastrophenszenario und erzählt zugleich von den Grenzen der Liebe und unserer Sehnsucht nach einem neuen Umgang mit der Natur.“ Das schreibt der Verlag und dem kann ich nichts weiter hinzufügen. Ein tolles, ein vor allem wirklich spannendes und leider auch erschütterndes Buch.
Ein Happy End kann man hier nicht wirklich erwarten. Wolfram Fleischhauer sagte auf einer Lesung dazu: „Das Ende liegt nun in Ihrer Hand – durch Ihr Verhalten als Konsument!“ Isst er selber noch Fisch? Amüsiert berichtet er darüber, dass selbst in den Kantinen der Brüsseler EU-Behörden Fisch von zweifelhafter Herkunft auf den Tischen lande. Aber: „Ich esse sehr selektiv, nicht nur in Bezug auf Fisch, sondern generell. Ich weiß in der Regel, was ich esse!“ Das allerdings ist heutzutage schon eine echte Herausforderung.
Detlef Jens, literaturboot.de