"Für die Rastlosen unter Euch, die Fliehenden und Suchenden“ (Michael Obert)
Und rastlos ist sie, zumindest wenn es das Segeln und die Auswahl ihrer Reviere angeht, denn sie ist scheinbar überall unterwegs, ob Nordwest-Passage, die norwegische See, der Pazifik oder zwischendurch die Berliner Seen - Lore Haack-Vörsmann, zieht es auf alle Meere, Ozeane und Seen, diesmal segelte sie mit der 20 Meter langen Aluminium-Ketsch Santa Maria Australis, von Tahiti zum Kap Hoorn, keine ganz gewöhnliche Route.
Das Packen des Seesacks für den großen Trip über mehr als 4500 Seemeilen halb über den Pazifik ist leicht. Schon seit Wochen gibt es einen Wäschekorb, in den nach und nach immer mehr Dinge wandern, die mit auf die große Reise sollen. Von 17º 41´ Süd bis 55º 59´ Süd, vom tropisch-feuchten Tahiti in der Südsee bis zum stürmischen und von vielen Legenden umwobenen Kap Hoorn soll die Reise gehen. Es ist das am meisten gefürchtete Seegebiet der Welt und war für vier Jahrhunderte der Prüfstein, die Schicksalsmarke der frachtfahrenden Segelschiffe, die auf dem Weg zur Westküste Amerikas gegen die brüllenden Weststürme ankämpfen mussten. Hier auf 56º südlicher Breite verloren tausende Seeleute in den Furious Fifties, den wilden oder rasenden Fünfzigern, und den „Screaming Sixties“, den Heulende Sechzigern zwischen dem 60. und 70. Breitengrad ihr Leben. Über 800 Wracks liegen dort draußen, wo die Gischt ganzjährig horizontal durch die Luft fetzt.
Kap Hoorn liegt auf 55º 59´ südlicher Breite und 67º 16´ westlicher Länge. Der Wind und die starken Meeresströmungen kreisen dort auf der Unterseite der Welt von Landmassen fast ungehindert um die Erde. Wir werden es zu spüren bekommen.
Doch erst einmal Südsee
Nach dem langen Flug über den Atlantik nach Los Angelos und weiter über den halben Pazifik nach Tahiti komme ich in Papeete in der UTC-Zeitzone „minus 10“ an. Drei Musiker begrüßen die ankommenden Gäste zu jeder Tages- und Nachtzeit mit polynesischer Musik. Die Luft ist schwül. Es riecht nach Tropen, diesem leicht morbiden, fauligen Geruch reifen Obstes und blühender Bäume.
Schließlich stehe mit Sack und Pack auf der dunklen Pier der Marina Taina und lausche in die tropische Nacht und tatsächlich: Nach wenigen Minuten höre ich einen Außenborder. Jochen, der Skipper der Santa Maria Australis holt mich ab. Im ersten Morgengrauen kommt das Schiff in Sicht. Das ist also mein Zuhause für die nächsten fünf Wochen. Mit ihrem gedeckten Cockpit sieht sie stabil und verlässlich aus - Die Santa Maria Australis ist eine Hydra Duo 72 von 21,50 Metern Länge. Am Wind hat sie eine Segelfläche von 220 m². Während der meisten Tage auf See werden wir nur einen Bruchteil davon nutzen!
Lebensmittel für 45 000 Seemeilen
Großeinkauf im nahen Supermarkt. Fünf große Einkaufswagen füllen wir mit Schokolade, Kohlköpfen, Brot, Kräckern für die harten Tage, Käse, Fleisch, Keksen, Äpfeln, und, und, und… Mühsam schieben wir die Wagen zum Yachthafen. Wie immer klemmt ein Rad und die Dinger laufen permanent aus dem Ruder. Das scheint eine weltweite Erscheinung zu sein.
Das Beiboot ist bis zur Gummiwulst gefüllt Ganz langsam tuckern wir zum Schiff zurück. Bloß kein Salzwasser auf den ganzen Proviant spritzen! Nach dem Verstauen der Lebensmittel ist Surf-, Bade- und Duschzeit. Wir sind nur zu fünft: Jochen als Skipper und Verena, seine Freundin, Christian, Sven und ich als Crew. Solange das Wetter es zulassen wird, geht jeder zwei Stunden Wache und hat dann unvorstellbar komfortable acht Stunden zum Schlafen, Lesen und Faulenzen.
Morgen geht’s los. Heute liegen wir noch vor Anker und warten auf die Happy Hour in der Bar des Yachthafens. In der Abendsonne erhebt sich dunkel die Silhouette von Morea.
4500 Seemeilen bis zum Kap Hoorn
Leidlich die erste Nacht verbracht. Es ist warm und klebrig in der Koje. Da macht einer einen unglaublichen Schlaf-Krach! Wenn das mal gut geht während der nächsten Wochen. Ich stopfe mir die Ohren zu und träume mich davon.
Sven und ich begleiten Jochen in die Stadt zum Ausklarieren. Eine kribbelige und wuselige Atmosphäre. Anker auf um 15.30 Uhr. Vorsichtig und langsam laufen wir durch das Feld der Yachten, die aus aller Herren Länder kommen. Wenige Meilen entfernt schraubt ein Wal seinen mächtigen Körper aus dem Wasser. Dann, an der Südspitze Tahitis, fallen die Böen über uns her, kaum dass wir Segel gesetzt haben, der Kapeffekt schlägt zu. Die Gesichter werden grün. zweifach gerefft in die erste Nacht.
Es herrscht feinstes Segelwetter. Vorbei ist der Spuk der ersten Tage. An Deck fliegende Fische. Angeblich sollen sie ganz passabel schmecken, aber wir verzichten darauf. Bei gut gefüllten Kühlschränken sind wir noch nicht auf schuppige Notrationen angewiesen. Wir haben beschlossen, nur einmal pro Tag zu kochen und den Rest in lässiger Selbstversorgung zu gestalten.
Nach drei Tagen auf See erscheint voraus die Insel Raivavae, die zu den Austral-Inseln gehört. Sie liegt auf 23º 52´ Süd und 147º 40´ West und damit abseits der üblichen Kurse. Einige Häuser am Ufer, ein paar Autos, der spärliche Verkehr wird mit einem an dieser Stelle befremdlich scheinenden Stopp-Schild geregelt wird. Irgendwo krähen die obligatorischen Hühner. Das Korallenriff ist wahnsinnig in seinem Türkis. Höchste Erhebung der Austral-Inseln ist der Mount Hiro mit 437 Metern. Hiro ist auf Tahiti der Gott der Diebe und Seefahrer – eine interessante Kombination.
Noch 3800 Seemeilen
Abends gehen wir Anker auf. Es wird eine vergnügliche Nacht mit leichtem Wind und moderatem Seegang. Wir laufen unter Maschine und Groß auf dem Großkreis Richtung Kap Hoorn. Es tut gut, zu wissen, dass es vier weitere Wochen gibt, in denen der Blick mit der Freiheit der Endlosigkeit bis zum Horizont gehen kann, um mit Abstand auf das gucken zu können, was man tut und denkt, wie man reagiert und zuhört, und manchmal auch spielt.
Die Welt ergründen, um sich selbst zu ergründen.
Ich mag die langen Überfahrten, während derer das Leben an Land in den Hintergrund gerät und einzig die Belange der Reise und die Bewegungen des Schiffes das Bewusstsein bestimmen. Kurs, Wind, Seegang, Position und Vorankommen – alles andere zählt wenig.
Unser erster Schiffssonntag – Christian kocht Eier, damit er nicht aus dem Rhythmus kommt. Später, als es immer stürmischer wird, werden wir noch nicht einmal wissen, welcher Wochentag ist….Unendlich lange Dünung aus Südwest und kein Wind. Eine milde Sonne kämpft sich durch die dünnen Wolken. Am Horizont das einzige Schiff, das wir während der ganzen Reise sehen werden. Ein Frachter ist unterwegs in Richtung Südamerika.
Voraus das Kreuz des Südens. Nächtliches Lesen im Cockpit mit rotem Licht an der Stirnlampe. Dann die Morgendämmerung, die Sterne verblassen und machen einem wahnsinnigen Sonnenaufgang in allen Farben Platz. Ströme rosigen Lichts ergießen sich über dem noch dunklen Meer. Noch ist es tagsüber warm im Windschatten in der Sonne.
Der Wind hat auf Süd gedreht und endlich stehen die Segel wieder voll, auch wenn wir noch unter Maschine laufen. Nichts los auf dem unendlichen Meer. Svens Kommentar: „Gestern kam noch ein zweiter Vogel vorbei“. Den ersten hatten wir vor zwei Tagen gesehen!
Noch 3248 Seemeilen
Das Schiff bockt in der schweren See. Wellenberge, rollende Wellenberge! Die ersten Albatrosse segeln über das Wasser, dazu die viel schnelleren Sturmvögel. In den Vögeln, die hinter den Schiffen flogen, sahen einst die Seemänner die Seelen von Verstorbenen.
Deprimierend, wir haben nur 80 Seemeilen zum Kap gut gemacht. Die Windrichtung verhindert, dass wir südlicher fahren können, um in die Westwind-Zone zu kommen. Die Nacht ist rabenschwarz, keine Sterne, nichts. Wir laufen unter Maschine nach Süden, endlich den Westwinden entgegen. Dank des zuverlässigen Wetterberichts wissen wir, wo sie uns erwarten. Das war früher anders.
Fremde Sterne am Firmament
Ich lege mich ins Cockpit und gucke in diesen gänzlich fremden Sternenhimmel. Nur das Sternenbild Orion, ganz ungewohnt auf dem Kopfstehend, und das Kreuz des Südens kann ich ausfindig machen, ansonsten bin ich verloren in einem nicht enden wollenden Sternengewirr. Im Cockpit ist es mittlerweile bitterkalt und manchmal bläst der Wind von hinten in die Leseecke.
Noch 2900 Seemeilen. Endlose Weiten des Pazifiks. 165 Seemeilen zum Kap gutgemacht! Das Schiff taumelt wie betrunken durch die See.
Würde uns jemand von oben beobachten, würde es wahrscheinlich ziemlich furchterregend aussehen, wie wir vermeintlich als Spielball der Gewalten durchs Wasser ziehen und dabei hockt die Crew unter Deck und liest und im Cockpit läuft feinste Musik.
Ich habe schlecht geschlafen, weil sogar die stabile Seitenlage unstabil ist. Die Santa Maria Australis prügelt mit bis zu zehn Knoten durch die Böen. Da sind die Nerven angespannt. Genua weg, Fock raus. Und noch eine Nachtwache in finsterster Nacht. Später scheinen ein paar Sterne, eher schmierig als klar und strahlend, steuerbord allen voran der Jupiter. Wir binden das zweite Reff ins Groß. Besser, sich auf Schlimmeres einstellen. Sternschnuppen. Dann zieht es wieder zu und der Wind wird eisig.
Noch ein paar Bogenminuten und wir queren den 40. Breitengrad. Nun sind wir offiziell in den Roaring Fourties angelangt. Und so fühlt es sich auch an. Jochen lässt die Maschine laufen, damit wir mal wieder warmes Wasser haben.
Rasende Fahrt
Wir nehmen das Groß weg und rauschen nur mit gereffter Fock durch die schwere See. Neben dem Schiff hört man die brechenden Wellen, ohne sie zu sehen. Nur wenn das Flash-Light aus dem Masttopp die weißen Wellenkämme erwischt, ahnt man, was draußen los ist. Unheimlich und ein bisschen mystisch! Hören wird zur wichtigsten Sinneswahrnehmung. Mit Bob Dylans „Blowing in the Wind“ und „Like a Rolling Stone“ gegen das windige Getöse draußen. Der Geist kommt nicht zur Ruhe - zu viele Endlosschleifen im Kopf, zu viel Speed – beängstigend! Gegen 5 Uhr wird es hell und die Nacht verliert ihren Schrecken. Die Tage werden länger. Hier unten geht es auf den Sommer zu. Später in der Koje hole ich mir die zweite Decke, um warm zu werden.
Draußen herrscht das absolute Shitwetter. Es regnet und bläst mit bestimmt 40 Knoten. Gut, dass wir schon gestern die Genua gewechselthaben, zwar bei viel Wind, aber immerhin in milder Sonne. 2396 Seemeilen zum Kap. Nur 154 Seemeilen sind gut gemacht. Nicht eben viel. Wir hinken unserem Zeitplan hinterher! Der Wetterbericht meldet, dass es noch mindestens drei Tage so bleiben wird: 40 Knoten von hinten. Bis dahin wird sich eine gigantische See aufgebaut haben. Na denn… Ich mache Linseneintopf mit Zwiebeln und Würstchen. Die können wenigstens nicht aus dem Topf hüpfen.
Draußen orgelt die See, keine Besserung in Sicht. Und wieder eine Wache geschafft. „Road to Hell“ wäre auch passend.
Ein bisschen Sonne, ein bisschen Wolken, sonst nix los. Linseneintopf zum Zweiten und steuern von Hand, weil der Autopilot ausgestiegen ist.
Noch 2095 Seemeilen – bald steht vorne eine Eins!
Ansonsten: Just another day: Das Meer, grau wie ein alter Mann und stürmisch, auch der Himmel einförmig grau und elend, nur die Vögel sind da wie seit Tagen. Ich mache Rührei mit Schinken und Zwiebeln in einem gigantisch hohen Topf. Immer noch nur unter gereffter Fock mit um die 7 Knoten. Das Wasser hat nur noch 8 Grad, aber das ist egal, denn wenn hier jemand über Bord geht, gehen seine Chancen eh gegen Null. Wir rechnen die neue Mindestdurchschnittsgeschwindigkeit aus: 6 Knoten. Das sollte zu schaffen sein.
Ich hocke mich im Schwerwetterpäckchen (vierlagig!) ins Cockpit und beobachte die Sturmvögel. Sie surfen in Lee der Wellenkämme mit einer unglaublichen Eleganz und Geschwindigkeit. Unmöglich, ihrem Flug mit der Kamera zu folgen. Manchmal gleiten bestimmt zwanzig und mehr um das Schiff. Und das alles, so scheint es jedenfalls, aus purer Lebensfreude. Dann und wann kommen Albatrosse vorbeigesegelt, ohne je einen einzigen Flügelschlag zu tun. Aber auch sie zu fotografieren, gelingt mir nicht, denn dazu müsste ich den geschützten Platz im Cockpit verlassen und „draußen“ reißt einem der Wind alles aus den Händen und vom Kopf. Kann Sturm den Albatrossen eigentlich etwas anhaben?
Das Wasser wechselt seine Farbe von Blau über Grün zu Grau. In schönster Regelmäßigkeit haut es Brecher ins Cockpit! Eiskalt! Die Sonne ist weg und die Wellen haben ihr grünes Glitzern verloren. Sven steuert das Schiff in die Dunkelheit.
Die Nacht war „interessant“:
Was machen die da oben bloß? Als ich um ein Uhr an Deck komme, wird es mir klar: Wir haben alle Segel weggenommen und laufen vor Top und Takel ab nach Ost-Nordost. Das ist nicht die Richtung, in die wir wollen! Ich löse Jochen ab und taste mich ganz langsam wieder an unseren Sollkurs. Sven und Verena liegen in der Messe und erzählen von zwei schweren Brechern, die über das Schiff gegangen sind und unter anderem die Mülltonne losgerissen haben. Sie lebt ab sofort im Cockpit. Außerdem gab es wohl den ersten Schneeschauer. Die beiden Relingstützen, an denen das Surfbrett hängt, sind abgeschert.
Nächstes Problem, nachdem gestern das Licht der Ruderlagenanzeige ausgestiegen ist: In dem Tank, aus dem wir den Diesel fahren, sind laut Anzeige nur noch 600 Liter Diesel, was bedeutet, dass wir 800 Liter umpumpen müssen, die Pumpe läuft aber unergründlich langsam. Jochen baut das Ding mehrfach komplett auseinander, kann aber die Ursache nicht finden. Die Pumpe ist heil. Damit wird die ganze Aktion ziemlich undurchsichtig.
Auf dem Tisch im Cockpit klebt jetzt die neue Seekarte auf der schon Kap Hoorn zu sehen ist. Nur noch 500 Seemeilen, dann haben wir schon zwei Drittel geschafft! Das klingt viel besser als: „Wir haben gerade ein bisschen mehr als die Hälfte.“ Trotzdem: Es ist ein verdammt langer Ritt und ich träume von stillen, ruhigen Herbstmorgen, von Lesestunden in der Sonne, vom Joggen durch den bunten Wald und von Latte Macchiato und dicker Torte in meinem Lieblingscafé.
In der Nacht Böen mit bis zu 60 Knoten! Windstärke elf!
Der Autopilot, kurzfristig zu neuem Leben erwacht, piepst und gibt dann seinen Geist endgültig auf. Die Gasflaschen haben ein Sitzkissen in ihr Schapp bekommen. Jetzt ballern sie in dem schweren Seegang nicht mehr hin und her.
Rückseitenwetter
Die See geht hoch, aber die Sonne scheint. Morgenwache unter Segeln, aber wir sind zu langsam. Jochen nutzt die ruhige See, um Reparaturen zu erledigen. Als erstes springt der Generator nicht an. Dreck im Diesel. Kommt mir bekannt vor vom eigenen Schiff. Seit man Diesel fast trinken kann vor lauter Öko, freuen sich die Bakterien. Dann ein erneuter Versuch, Diesel umzupumpen. Es gelingt nur mühsam. Jochens Gesicht wird immer nachdenklicher, weil so langsam alle Möglichkeiten erschöpft sind, die als Fehlerursache in Frage kämen. Als nächstes ist das Rückschlagventil vom Frischwasser dran. Dort findet Jochen Bonbonpapier – Wie bitte? Bonbonpapier? Und dann wäre da noch der Krampf mit dem Knopf der Decksbeleuchtung.
Nachtwache nach einem wunderbaren Tag, ich habe sogar in der Sonne gesessen und gelesen. Der Mond ist zurück! Direkt neben dem Jupiter. Dazu gibt’s einen fantastischen Sternenhimmel nach einem grandiosen Sonnenuntergang. Welch ein Unterschied zu den stürmischen Nächten zuvor. Wir laufen östlich, um aus der Schusslinie der Tiefdruckgebiete zu kommen, die eines nach dem anderen heranziehen.
Mir fällt das Buch von Moitessier ein, sein „Der verschenkte Sieg“. Auch für ihn war es etwas ganz Besonderes, wenn nach den dunklen Nächten, Sturm gepeitscht und rabenschwarz, dann plötzlich der Mond wieder zu sehen war, zuerst als dünne Sichel immer voller und voller.
Noch 1500 Seemeilen
Trotz der Sonne ist es bitterkalt. Wir segeln nur unter Genua platt vorm Laken. Ein anstrengendes Steuern. Mit gespreizten Beinen und angeseilt hinter dem Rad, unablässig damit beschäftigt, den sicheren Stand nicht zu verlieren. Ein einziges Abstemmen, Auffangen und Festhalten des Körpers. Wir laufen 7 bis 8 Knoten! Nicht schlecht, wenn wir pünktlich ankommen wollen. Später ist es wieder grau in grau. Heute ist irgendwie bei allen die Stimmung angeschlagen. Alle sind satt vom ewig gleichen anstrengenden und Kräfte zehrenden Wetter. Ich verzieh mich in die Koje und schick die Gedanken auf Reisen um die Welt.
Wieder nur unter gereffter Genua. Zu Beginn der Reise hätte ich nicht gedacht, dass wir zwei Drittel der gesamten Reise nur mit Vorsegel fahren würden! Immerhin wiegt die Santa Maria Australis 40 Tonnen und wir laufen jetzt im Schnitt 6 bis 7 Knoten, oft auch mehr. Morgen Abend soll schon wieder das nächste Tief durchkommen. Mich lässt das relativ kalt. Reffen wir halt ein bisschen mehr und in der Messe läuft man eben nicht mehr auf rutschigen Socken. Und ansonsten: Aussitzen! Egal, wie das Wetter ist, wir versuchen Normalität zu leben zwischen Koje, Cockpit, Kombüse und wieder Koje und signalisieren damit Kopf und Seele: „Alles ist im grünen Bereich! Alles ist in Ordnung! Kein Grund, sich Gedanken zu machen!“ Selbst das ewige Getöse von losen Teilen in den diversen Schapps hört man irgendwann nicht mehr, obwohl der Lärm von Kochgeschirr und Co. zeitweise wirklich schlimm ist.
Die Wellen kommen von achtern, schieben sich bedrohlich hinter dem Schiff zusammen, um dann doch nur wieder geradezu unspektakulär unter dem Rumpf durchzulaufen.
Noch ein Etmal und die Meilenzahl wird dreistellig! Aber die letzten tausend Seemeilen werden mühsam werden. Es gibt keine Pause mit den Tiefdruckgebieten. Draußen orgelt und heult es ununterbrochen und es mal wieder griesegrau.
Nachtwache mit über 10 Knoten
Ein wilder Ritt hinterm Steuerrad bei geschätzten 9 Windstärken, in Böen mehr. Die Santa Maria Australis stürmt mit über 10 Knoten durch die See, die man in der stockfinsteren, niederträchtigen Nacht nicht kommen sieht. Mir kommt ein Kinderlied in den Sinn: „Dreh dich nicht um, der Plumpsack geht rum….“ Kein vernünftiger Seemann guckt im Sturm zurück!
Wunderbar geschlafen, vielleicht wegen der warmen Socken, die ich angezogen habe. Zum Frühstück mal wieder eine Übung in Gleichmut mit 8 Windstärken. Dann und wann läuft eine Welle quer und donnert Wassermassen übers Schiff. Zwei Stunden Wache dehnen sich zur Unendlichkeit. Hochkonzentriert und nachts im fahlen Licht der Kompassbeleuchtung versuchen wir, den Kurs nicht zu verlieren und über die Rückmeldung aus Muskeln und Sehnen Abweichungen vorherzuahnen, um rechtzeitig gegenzusteuern. Trotzdem schweifen die Gedanken zu friedlichen Ankerplätzen in Schilfbuchten und Gerüche schleichen sich ein von Blumen, offenem Feuer, Glühwein…. Draußen türmen sich meterhoch die Wellenberge, brechen und ziehen weiße Streifen hinter sich her. Hier und da wirbelt Wasser in Schleiern hoch. Unaufhörlich rollen die Wellen, schwellen an, brechen sich unaufhaltsam ihre Bahn. Welle auf Welle. Wasser, nichts als Wasser.
Morgen soll es ein bisschen ruhiger werden. In der Messe herrschen nur noch gruftige 12 Grad. Es wird Zeit, dass wir mal wieder auf dem anderen Bug segeln und der Ofen wieder geht. Alle Augenblicke schlägt die Fock back oder wir kriegen breitseits eine Welle übers Schiff. Es knallt als wären wir gegen einen Container gefahren. Der schreckliche Schlag der Welle trifft mich wie ein Hieb in den Magen. Die Fenster tauchen weg. Grünes Wasser! Durch die Lüftungshutzen rinnt das Wasser und zwei Relingstützen reißen ab. Der Skipper übernimmt das Ruder. Kein Kuschelmodus mehr! Sven und ich beschließen, Kaffee mit Rum zu trinken, wenn wir angekommen sind!
Der Himmel und die See
Mehr als 10 Knoten Fahrt. Wenn man im Schein des Mondes nicht das Vorsegel kontrollieren könnte, dürfte man diesen Höllenritt nicht machen. Sven und ich übernehmen die Wache von Christian, also häng ich noch eine Stunde ran. Ich geh todmüde in die Koje und kann trotzdem nicht schlafen. Erst kurz vor der nächsten Wache döse ich kurz weg – natürlich! Immer kurz bevor man wieder raus muss! Die Sonne scheint und die Wellen sind knallblau. Ich bleibe noch ein bisschen im Cockpit sitzen und gucke endlich mal nach hinten. Während des Steuerns geht das nicht - keine Zeit für Blicke zurück. Die See kann eine ganze Menge erzählen, lehren und offenbaren. Den Himmel und die See – ich liebe sie beide, wahrscheinlich wegen ihrer Grenzenlosigkeit.
Wir fahren 70 Grad, um dem nächsten Tief auszuweichen. Die Sonne kommt erst direkt von vorn und wandert dann weiter nach backbord gen Norden – gewöhnungsbedürftig. Jochen, unser Technik-Künstler, hat den Autopilot repariert. Also hocke ich mich nach Luv in die geschützte Ecke vom Cockpit – und fange schon nach fünf Minuten an zu frieren. Dann doch lieber steuern und sich warm arbeiten hinterm Rad.
Noch 630 Seemeilen
Irres Segeln. Das Schiff stürzt durch die Nacht, ohne dass ich viel am Rad drehen muss. Als Sven um 4 Uhr hochkommt, ist es schon dämmerig. Ich angele mir einen Apfel aus der Bilge und schneide mir zwei dicke Scheiben Käse ab, damit ich nicht wieder vor Hunger wach werde. Vormittagswache mit Hagelschauern! Trotzdem zwinge ich mich dazu, die Gummistiefel anzuziehen, um aus dem Heck ein paar Fotos von der aufgewühlten See zu machen. In wenigen Augenblicken sind die Handschuhe durchnässt und kleinlaut trete ich den Rückzug ins geschützte Cockpit an. Jochen baut den Regler am Ofen so um, dass dieser auch auf Steuerbordbug zieht. Wir sitzen mit Decken in der Messe und spielen Wintercamping und erzählen Geschichten. Jochen trifft die wunderbare Entscheidung, zur Erholung mal ausnahmsweise eine Wache von drinnen zu fahren, sprich mit dem Autopiloten und unter Maschine. So sitze ich denn ganz ungewohnt in der Navi-Ecke, lese und schreibe und werfe nur dann und wann mit der Taschenlampe einen Blick durch die Luke in die Segel.
Der Wind nimmt immer mehr zu und wir ändern den Wachplan in einstündige Wachen, zumindest nachts. Verena und Christian sehe ich quasi nur noch im Vorbeigehen und beim mittäglichen Kochen. Alle verschwinden nach ihrem Dienst am Ruder schnell wieder in der Koje, denn die Zeit bis zum nächsten Einsatz ist verdammt kurz.
Knock Down in der Dunkelheit
Und dann passiert es doch: Ein schwerer Brecher legt das Schiff auf die Seite. Jochen hat die Wellenwand trotz Dunkelheit kommen sehen und sich vorsichtshalber in die Ecke gesetzt. Mich holt es von den Füßen…
Die Nacht ist brutal und das Steuern wird zum Kraftakt. Jochens Eintrag im Logbuch liest sich so: „18:15 KNOCK DOWN: keine Schäden am Rigg oder Aufbau, eine Weinkiste explodiert, ein Fenster im Cockpit kaputt (innen). See immer noch gefährlich!!! Zwei weitere Relingstützen abgeknickt. Was für eine Nacht. Der Southern Ocean flößt Respekt ein.“
Noch ein dramatischer Augenblick beim Wachwechsel. „All hands“ ruft Jochen nach unten. Sven und ich stürzen zurück ins Cockpit. Dort sind schon zwei Lifeleinen für uns vorbereitet und - beeindruckend - von Jochen schon so hingelegt, dass sie sich nicht vertörnen können, wenn wir uns anleinen! Wir haben keine Ruderwirkung mehr. Jochen gleitet wie eine Katze mit Werkzeug in der Hand zur Luke auf dem Achterdeck. „Versucht zu steuern und passt auf mich auf!“ Bei unserem Knock-Down sind die Taucherflaschen auf ein Bypassventil der Steuerung gefallen. Gott sei Dank: Kein Ruderbruch. Nach wenigen Momenten hat sich der Druck wieder aufgebaut.
Der Dieseltank ist leer!
Jochen schaltet auf den achteren Tank um. Beim wiederholten Versuch, die Maschine zu entlüften, brennt der Anlasser durch. Dafür zeigt jetzt die Backbord-Maschine normale Betriebstemperatur, jedenfalls bei behutsamer Fahrt - das Wasser in der Südsee war ihr wohl zu warm. Vorsichtshalber stellen wir sie nach kurzer Zeit wieder ab, um sie für den Beagle- Kanal zu schonen. Es ist ja auch wahrlich windig genug, um zu segeln.
Ich verkrieche mich in die Koje. Was ist das denn? Überall Knäckebrot-Krümel, überall! Krümel an den unmöglichsten Stellen, aber ich weiß genau, dass ich peinlich genau darauf geachtet hatte, das wunderbare schwedische Skorpa wirklich nur außerhalb der Koje durchzubrechen und in den Mund zu stecken. Und jetzt diese Krümel überall… Da macht man sich schon so seine Gedanken, welche Sprünge das Schiff denn bitte schön während unseres Knock Downs gemacht hat?!
Als ich um 18 Uhr zur Wache antrete, traue ich meinen Augen nicht: Wir laufen ab! Wie wollen wir denn unter diesen Seegangs- und Windverhältnissen die Höhe wiedergewinnen, die wir jetzt verschenken? Ich kann auch nicht glauben, dass wir keine Zielfahrt machen können. Na gut, ich geh ans Steuer ….und kann tatsächlich 60 º halten. Jochen lässt sich überzeugen, er war wohl einfach zu erschöpft, als er die Entscheidung für das Ablaufen gefällt hat. Auch wenn wir alle unser Bestes geben, heil durch diese Wasserwüste zu kommen: Letztlich lastet die ganze Verantwortung für das ihm anvertraute Schiff und die Menschen allein auf seinen Schultern. Also wieder Zielfahrt zum Kap Hoorn!
Während sich Sven durch die Nacht kämpft, hocken Jochen und ich uns in die Kombüsenecke und essen eine halbe Salami auf. Vierhändig essen heißt: Eine Hand für die Salami, damit sie nicht wegrollt, eine Hand fürs Brettchen, eine Hand für das Messer und eine Hand für das Knäckebrot. Der Backofen strahlt ein bisschen Wärme ab. Geradezu gemütlich. Während der nächsten Nachtwache scheint der Mond so stark ins Cockpit, dass der Kompass hell angestrahlt ist. Die gigantischen Wellenberge, die von achtern angerollt kommen, glänzen im Mondlicht. Dann und wann schiebt sich eine bedrohliche, schwarze Wolkenwand dazwischen und beschert uns ein paar Böen. Warm angezogen ist es ein wunderbares Segeln: blaues Wasser, weiße Schaumkronen, Sonne.
Segeln vom Allerfeinsten
Nachts scheint wieder der Mond und tagsüber die Sonne im bitterkalten Wind. Fantastisches Segeln in Puschen, sprich in Garten-Birkenstockschuhen, von mir seemännisch „die kleinen Gummistiefel“ genannt. Die Musik dazu liefert Svens I-Pod. Wie soll man zuhause diese Atmosphäre vermitteln?
Dann und wann überholen uns Fronten mit beängstigenden schwarzen Wolken und Windstärken, die wohl an die 40 bis 50 Knoten gehen. Svens Musik läuft Tag und Nacht. Und der Ofen tut es auch wieder. Jochen hat den Regler noch ein bisschen höher gesetzt.
Aufatmen kurz vor dem Ziel
Noch 250 Seemeilen - Die Zeit wird verdammt knapp. Das wird eine ziemliche Punktlandung! Immer noch fetzen Böen übers Schiff. Die Tage und Nächte verschwimmen, verschmelzen. Kann Weite süchtig machen?
Nachts in einem sonderbaren Traum bin ich mit dem Ausbuddeln und dem erneuten Vergraben von Leichen beschäftigt. Wie bitte? Dann wach ich auf und zieh noch in der Koje die langen Socken und die langen Unterhosen an und mache mich fertig für eine der letzten Wachen. Dank unseres genialen Tricks, tagelang die Uhren nicht auf die neuen Zeitzonen umzustellen, ist es um 2 Uhr nachts schon fast hell. Die See ist ruhig, nur dann und wann gibt es eine kurze, aber starke Böe, wenn eine dunkle Wolke durchzieht. Noch 130 Seemeilen bis zum Wegpunkt vor Kap Hoorn. Noch 82 Seemeilen.
Noch verkneifen wir es uns, die Backbordmaschine zu starten, da wir nicht wissen, ob im hinteren Tank seit dem Knock Down nicht vielleicht doch ein Diesel-Wasser-Gemisch schwappt. Die Tankanzeige ist dubios.
Mittagswache mit Hagelschauern
Die See ist ruppig und chaotisch, die Wellen werden steiler, wahrscheinlich wegen der Landnähe. Um 13:49 Uhr ruft Sven aus dem Cockpit „Land in Sicht!“ Die Isla Il de Fonso liegt Backbord voraus. Sensation nach all den Tagen auf See! E-Mails von Zuhause: Laut Wetterbericht hatten wir 925 Hektopascal und 13 Meter hohe Wellen in der Nacht, in der es uns umgehauen hat. Und Wolf Klos schreibt, dass es in Ushuaia Dächer abgedeckt und Kanus durch die Luft gewirbelt hat. Wie hoch die Wellen wirklich waren? Keine Ahnung! Es war Nacht!
Ich weiß nur, dass es mich von den Beinen geholt hat und ich plötzlich in Lee bei Jochen auf dem Schoß gelandet bin, nur um wenige Augenblicke später wieder auf den Beinen und hinterm Steuer zu stehen, um das Schiff wieder unter Kontrolle zu bringen. Christian steuert und brüllt „Einreffen!“. Draußen herrscht Weltuntergangsstimmung. Es hagelt und die See geht hoch.
Graue Flosse in grauer See
Meine letzte Wache auf hoher See. 40-Knoten-Böen mit Hagel fallen mal wieder über das Schiff her. Und das kurz vor dem Landfall! Ein Delphin begleitet das Schiff, graue Flosse in grauer See. Die Santa Maria Australis verharrt für einen kurzen Moment auf dem Wellenkamm, als könne sie sich nicht recht entscheiden, um dann mit einem satten vibrierenden Brummen ins nächste Wellental zu surfen! Wahnsinn! Und all das mit nur diesem Fetzen von Fock! 40 Tonnen Schiff – über 8 Knoten – 3 Quadratmeter Segel: Welche Kraft hat dieser ewig jaulende und kreischende Wind!
Freiwache. Ich versuche, einen Augenblick, die Augen zuzumachen – unmöglich. Mit unglaublichem Getöse und hoch am Wind, nur mit diesem Taschentuch als Segel, rauschen wir in die Paso Mantellero. Das Kanu ballert aufs Deck, weil die Relingstützen beim Knock Down ja weggebrochen sind. Ein letztes, vorletztes Mal muss ich raus in die kalte Wirklichkeit. Selbstüberwindung. Die Schiffsbewegungen sind völlig ungewohnt und erinnern mich an die hackige Nordseewelle. Mit Radar zwischen den Inseln durch. Nur schwer können wir mit so wenig Segelfläche den Kurs halten. Schemenhaft ahnen wir das Land. Fock weg, Genua raus, um mehr Höhe laufen zu können. Noch ein paar Nachtaufnahmen und für zwei Stunden in die Koje. 50 Knoten Wind mal wieder.
Landfall
Sven schreibt in sein Tagebuch: „Unsere Passage vom Pazifik kommend in die Bahia Nassau führte durch den Paso Mantellero, eine circa 10 nm breite Passage zwischen der Peninsula Hardy im Westen und der Isla Hermite im Südosten, Isla Bavly und Isla Grévy im Osten.
Der Wetterbericht meldet bis zu 40 kn aus West mit starken Böen, Kap Hoorn im Funkverkehr sogar 50 kn. Unsere Beseglung besteht immer noch nur aus ein paar Quadratmetern Fock, wegen der starken Böen ist an das Großsegel nicht zu denken! Hoher Seegang, der auf dem ansteigenden Meeresgrund im Tagesverlauf kürzer und vor allem deutlich steiler wird.
Unser Sollkurs, um die Isla Hermite im Norden sicher zu passieren, liegt bei max. 35°, aber es ist überaus spannend, ob wir diese Höhe erreichen können. Auf den Einsatz der Maschine können wir uns nicht verlassen und der einzige Notausgang nach Osten durch die Inseln der Wollaston Gruppe ist bei den herrschenden Bedingungen nicht erstrebenswert…. Das wird doch wohl auf den letzten Meilen keine Mausefalle für uns werden?!?
Mit flacher werdendem Seegang in der Landabdeckung wird endlich ein Kurs höher am Wind möglich – die Abdrift ist auf dem letzten Kurs zwar enorm, aber endlich reicht die Höhe, um von den Untiefen vor der Nordspitze der Isla Grévy frei zu bleiben … zu unserer großen Erleichterung haben wir sogar etwas Reserve, obwohl die Küstenlinien in der Seekarte mit Vorsicht zu genießen sind.
Im Paso Mantellero nimmt die Schaueraktivität schnell ab und der Wind flaut ab - wir können den letzten Kurs sicher halten mit KüG 25°. Das reicht! Wir haben es geschafft!“
Im Logbuch hat Jochen vermerkt: „Der Southern Ocean hat uns zum Abschied noch einmal einen Denkzettel verpasst.“
Wir stellen die Uhren um
Ein Uhr nachts. Es dämmert schon. Jetzt müssen wir ja auch nicht mehr die Nacht zum Tag machen. Unter langsamer Fahrt in Richtung Beagle-Kanal. Erinnerungen an die Fahrt in die Antarktis. Für mich schließt sich hier ein Kreis. Nach dieser Reise kann ich eine unsichtbare Linie ziehen von Papetee bis zu den Azoren, am Kap Hoorn vorbei mit Abstecher in die Antarktis und weiter bis nach Spitzbergen.
Unter Fock, gerefftem Groß und Maschine kreuzen wir den Beagle-Kanal auf. In der Ferne die eisigen Gipfel der Darwin-Kordillere. Am Ufer windgepeitschte Bäume. Dem Sturm beugt sich hier alles. Was überleben will, muss sich dem Stärksten und Gewalttätigsten anpassen und das ist am Beagle-Kanal der unablässige und starke Wind.
Wir sind schon da
Wir „parken“ die Santa Maria Australis zwischen einer Anlegertonne und unserem Anker und bringen nach den Einklarierungsformalitäten noch eine Leine an Land aus. Der Beagle-Kanal präsentiert sich windstill und friedlich. Nach dem in stürmischen Tagen geplanten Kaffee mit Rum starten wir eine regelrechte Kochorgie! Zwiebelrostbraten, Rotkohl, Kartoffelpüree und Wein – unglaublich gut! Dann Eis (!), gekauft „damals“ in Papeete und Schnaps.
Fünf Tage ist es erst her, dass es uns auf die Seite gelegt hat. Wo sind die Tage geblieben? Der Kampf mit Wind und Wellen, der Kampf ums Aufstehen nach wenigen rastlosen Stunden Schlaf, in denen vielleicht der Kopf, der Körper aber seit vielen Tagen nicht zur Ruhe gekommen ist… alles ist in der Vergangenheit der letzten Tage verschwunden, aber eingebrannt für immer. Und am Ende der Reise geht es mir wieder wie so oft, dass ich gar nicht sagen kann, ob dieser Törn eigentlich lang oder kurz war. Manchmal denke ich: „Das Ankeraufgehen in Papeete ist endlos lange her“ und im nächsten Augenblick: „He, schon vorbei?“.
Ausgepowert durch die Anspannung der letzten Wochen schlafe ich wie eine Tote.
Letzter Tag auf der Santa Maria Australis
Ich stehe leise auf und setze mich mit einem Becher Tee in den Heckkorb. Letzte Eindrücke dieser imposanten Landschaft und Blick zurück auf die letzten Wochen. Sehe uns lesend und unter Autopilot Richtung Austral-Inseln segeln, warm und harmlos, sehe die Sonnenauf- und -untergänge, als die See noch friedlich war und ruhig, sehe uns angespannt und frierend mit gigantischen Seen von achtern kämpfen, Stunde um Stunde, , ohne Pause schlingernde, stoßende Schiffsbewegungen mit den eigenen Bewegungen ausgleichend; Klamotten erst ein-, dann zwei-, drei- und schließlich vierschalig und immer wieder wachegehen und die Einsamkeit im Cockpit, wenn sich die Tür hinter dem schließt, der in die Wärme der Koje darf, wohl wissend, dass die anderen unserer kleinen „Gefahrengemeinschaft“ wie Sven sie nennt, wahrscheinlich auf „Stand by“ in der Koje liegen, jederzeit bereit, zu helfen. Auf einem kleinen Schiff auf hoher See wird niemals wirklich geschlafen.
Und immer wieder Wachwechsel
Und dann das Warten und das Hoffen darauf, dass die nächste Wache pünktlich ist und die Erleichterung, wenn sich die Tür vom Niedergang öffnet und sich Svens gelbe Jacke ins Cockpit schiebt. Und immer der gleiche Ablauf beim Übernehmen: „Was liegt denn für ´n Kurs an? Wie läuft´s? Kannst du sie halten? Sollen wir mehr reffen? Und: „Hört das denn nie auf zu blasen?“ „Ganz schöner Brecher vorhin, was? Ich hab’s in der Koje an der Bordwand gehört“. „Hinter uns die Wolkenwand, pass auf, lauf lieber tiefer.“ Und dann nach einem letzten „Gute Wache und fahr vorsichtig!“ der Rückzug nach drinnen in die schummrige Messe, in der ein bisschen Ruhe und häuslicher Frieden herrscht vor den grimmigen Verhältnissen draußen und vor dem ewigen Krach des heulenden Windes. Die Austral-Inseln, die letzte Bastion des Südseeparadieses, scheinen endlos weit entfernt.
Wie soll man die letzten Wochen in kurze Worte fassen? Wir sind halt von Papeete zum Kap Hoorn gesegelt – nicht mehr, aber auch nicht weniger! Wir haben keine Spur hinterlassen. Unsere Spur ist im Kielwasser der Santa Maria Australis verschwunden.
Lore Haack-Vörsmann (Text und Foto)