Liebe Mitglieder,
liebe Segelnde,
in der vergangenen Woche machten deutsche Mannschaften in der Karibik medienwirksam auf ein zukünftiges Problem im dortigen Revier aufmerksam:
Durch die im Zusammenhang mit der weltweiten Corona Pandemie extrem eingeschränkte Bewegungsfreiheit von Yachten auf der ganzen Welt ergibt sich in der Karibik eine besondere Situation, da dort in wenigen Wochen die Sturmsaison, die sogenannte Hurricane-Season beginnt.
Bereits seit Jahrzehnten ist es eingeübte Segelpraxis, die üblicher Weise besonders betroffene Region von 10° bis 30° nördlicher Breite Ende Mai in Richtung Norden oder Süden zu verlassen und frühestens Anfang Dezember zurückzukehren.
Nur wenige Yachten segeln weiter nach Panama, in die Weite des Pazifiks.
Doch eine Reihe von anderen Yachten kehrt zu Beginn der Hurricane-Season in ihre Heimatländer zurück. Für europäische Boote bedeutet dies eine Atlantiküberquerung von West nach Ost auf der nördlichen Route. Dabei wählen die Heimkehrer, die kurze, schnelle Etappen bevorzugen, einen möglichst weit im Norden gelegenen Absprungort, üblicher Weise die Bahamas und gehen von dort über Bermuda (720 Seemeilen) auf die Azoren (1.900 Seemeilen).
Wer es nicht so ruppig mag und für den längere Etappen kein Problem sind, startet vielleicht von Antigua und versucht, auf direktem Kurs die Azoren zu erreichen (2.200 Seemeilen).
Der Zwischenstopp auf den zu Portugal gehörenden Azoren bietet eine sehr willkommene Möglichkeit der Erholung, der Proviant- und Treibstoffaufnahme. Denn von dort aus sind es noch einmal 1.100 Seemeilen bis zum europäischen Festland, zum Beispiel der Hafen von Brest im Nordwesten von Frankreich. Eine normale Hochseefahrtenyacht benötigt 18 und 8 Seetage für die beiden nördlichen Passagen.
Doch in Zeiten von Corona ändern sich weltweit sämtliche Gewohnheiten. Regeln werden täglich gerändert. Die derzeitige Situation in der Karibik ist die, dass die Yachten weder vor- noch zurückkommen. Verlassen sie einmal ihren derzeitigen Liegeplatz, können sie nur mit größten Problemen in ein anderes Land einreisen – vermutlich nur unter Auslösung eines Seenotfalls. Denn alle Länder haben ihre Grenzen für Neuankömmlinge geschlossen.
Aus Sicht der vielen kleinen Länder in der Karibik, die oft ja nur aus einer einzigen Insel bestehen, ist dieses rigorose Einreiseverbot durchaus nachvollziehbar. Zum einen wird die weitere Verbreitung des Corona-Virus durch Segler befürchtet, zum anderen sind die Möglichkeiten der medizinischen Infrastruktur in der Regel sehr limitiert.
Auch wenn im Einzelfall Mannschaften in der Karibik derzeit keine Lösungsmöglichkeiten für die Bewältigung der kommenden Sturmsaison für sich sehen, gibt es doch einige pragmatische Szenarien, auf die wir hier im Folgenden eingehen werden:
Szenario 1: „stay where you are“
Der Leitgedanke ist hier: Bleib so lange an einem sicheren Ort, wie möglich. Bis zum Beginn der heißen Phase der Hurricane-Season Mitte Juni sind es noch gut zehn Wochen. In den kommenden vier Wochen wird sich, wie in anderen Regionen auch, ein gewisser Pragmatismus etablieren. Wer mit seinem Boot nicht die Heimreise antreten kann oder möchte, dem stehen bereits jetzt einige Optionen offen.
(1.a) Zunächst kann man mit der eigenen Bootsversicherung über eine Sturmerweiterung der Versicherungspolice verhandeln. Dabei wird im Regelfall das Boot an Land entsprechend gesichert gelagert und die Versicherungsprämie verteuert sich für diese Zeit um etwa 30% bis 50%. Ist das Boot entsprechend gelagert und versichert, reist die Mannschaft entweder auf eigene Faust in die Heimat oder beansprucht die bemerkenswert sehr gute Hilfe des Auswärtigen Amts.
(1.b) Möchte man das Boot nicht alleine zurücklassen, weil man z. B. die Kosten für Lagerung und Versicherung scheut oder eine sichere Lagerung am aktuellen Ort nicht möglich ist, bleibt man so lange an Ort und Stelle, bis es eine konkrete Hurricane-Warnung gibt. Man beobachtet den Verlauf mittels NOAA sehr genau und ist mit dem Boot jederzeit seeklar. Befindet man sich innerhalb der voraussichtlichen Zugbahn, verlässt man frühzeitig den Liegeplatz und weicht auf See gen Norden oder Süden aus. Nichts für schwache Nerven, aber durchaus praktizierte Realität. Im Gegensatz zu früheren Jahren muss aber derzeit noch offen bleiben, wo ein Landfall nach dem Sturmdurchgang möglich sein wird.
Szenario 2: „go home“
Da niemand wirklich sagen kann, wie lange die Pandemie weltweit dauern wird, kann es eine gute Idee sein, das eigene Boot in sein Heimatrevier zu verlagern und die weitere Entwicklung abzuwarten.
(2.a) Der Yachttransport auf einem Seeschiff ist nach einem nicht versicherten Totalverlust sicherlich die teuerste aller möglichen Optionen. Der weltweite kommerzielle Seeverkehr läuft zwar noch, doch wird für die Verladung der Yachten üblicherweise ein Spezialistenteam, die so genannten Loadmaster, zum jeweiligen Verladeort eingeflogen. Die Boote müssen an Deck von Seeschiffen besonders sorgfältig und entsprechend aufwendig für den Seeweg gesichert werden. Aufgrund der weltweit starken Einschränkungen des Flugverkehrs ist damit zu rechnen, dass diese Option zunächst ausfällt. Eine entsprechende Anfrage bei einem führenden Transportunternehmen läuft noch.
(2.b) Der Atlantik ist nicht gesperrt. Die Deutschen Grenzen sind für deutsche Staatsbürger auch weiterhin offen. Die Deutschen Sportboothäfen sind zwar derzeit bis zum 30. April gesperrt, aber niemand wird wohl eine von See kommende deutsche Yacht abweisen.
Eine Heimreise auf eigenem Kiel ist somit für erfahrene Segler erst einmal möglich.
Doch für die meisten kleinen oder Familiencrews ist eine Non-Stop Passage (5.500 Seemeilen, 40 Seetage) nach Deutschland unrealistisch. Neben der besonderen Vorbereitung der Eigenquarantäne der gesamten Mannschaft, damit man später auf offener See nicht von COVID-19 überrascht wird, stellt sich die Frage nach den möglichen Absprunghäfen. Offiziell sind Antigua, die Bahamas und Bermuda gesperrt. Möchte man nicht gegen diese Regeln verstoßen, muss aufgrund der vorherrschenden Winde ein viel längerer erster Schlag in Richtung Norden in Kauf genommen werden. Von Martinique bis in das Seegebiet der Bahamas sind es zum Beispiel Non-Stop gut 1.200 Seemeilen, also gut 8 Seetage. Von dort, ohne Landfall, direkt zu den Azoren, 2.500 Seemeilen, 18 Seetage. Die 26 Seetage in Summe werden sicherlich unerfahrene Mannschaften an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit bringen, einige leichtsinnige vielleicht sogar in Gefahr. Von dort aus sind es bis zu den deutschen Hoheitsgewässern mindestens weitere 1.800 Seemeilen, also noch einmal 14 Seetage, wenn alles klar läuft. Es ist bekannt, dass die Rückreise aus der Karibik höhere Ansprüche an Material und Mannschaft stellt, als die Anreise. Mit Blick auf diese Zahlen wird die Wichtigkeit von offenen Transithäfen entlang der Route deutlich. Hier wäre es wünschenswert, dass die zuständigen Behörden der jeweiligen Herkunftsländer (z. B. Großbritannien, Österreich, Schweiz, Deutschland) dabei mithelfen, erlaubte Versorgungspunkte zu schaffen.
Selbstverständlich besteht auch in Corona-Zeiten die oberste Pflicht eines Bootsführers, einer Bootsführerin, darin, eigenverantwortlich für eine sichere Passage zu sorgen.
Die derzeit diskutierte Flottillenlösung suggeriert nur vordergründlich zusätzliche Sicherheit. Ein Toplicht eines anderen, womöglich befreundeten Seglers, am Horizont in der Nacht wirkt sicherlich sehr beruhigend. Doch es ist äußerst unwahrscheinlich, dass auf dieser Route Boote lange in Sichtweite bleiben. Jedes Boot segelt mit seiner eigenen Geschwindigkeit, bestimmt durch das Boot selbst und die Fähigkeiten der Mannschaft. In den Beispielen in diesem Beitrag gehen wir von einem guten Reisedurchschnitt von 6 Knoten aus. Nur 1 Knoten mehr oder weniger Fahrt führt dazu, dass man innerhalb von 24 Stunden außer Sichtweite, sogar außerhalb der Reichweite eines UKW Sprechfunkgerätes läuft. Bei solchen Distanzen kann von niemand erwartet werden, dass man die eigene Fahrt reduziert, weil ein anderes Boot nicht mitkommt. In dem Non-Stop Beispiel würde der eine Knoten Geschwindigkeitsunterschied die Reisezeit um immerhin 7 Seetage verlängern.
Und spätestens wenn durch aktuelle Wettervorhersagen Entscheidungen auf jeder einzelnen Yacht über die Kurse und Geschwindigkeiten der nächsten Tage getroffen werden müssen, würde eine Flotte von Yachten über viele hundert Seemeilen verstreut über den Atlantik segeln.
Ein Begleitschiff, gleich welcher Natur, wäre sinnlos.
Selbst eine Art Schwarmsicherheit durch besonders viele Boote auf der Passage, wie sie zum Beispiel für die Atlantic Rally for Cruisers angenommen wird, wäre sie in dieser Zeit extrem kontraproduktiv: Man stelle sich nur für einen Moment 50, 100 oder 150 Boote ankommende Boote auf den Azoren vor.
Aktuell sind die Behörden unseres Landes weiterhin damit beschäftigt, tausende Bundesbürger nach Deutschland zurück zu bringen. Es ist kaum anzunehmen, dass die von einigen geforderten Crewergänzungen (also das Einfliegen von Menschen aus Deutschland zum aktuellen Bootsliegeplatz) derzeit umgesetzt werden können.
Für die eigene Bootsführung ist der eigene Skipper / die eigene Skipperin verantwortlich. Diese Verantwortung kann auf niemand anderen außerhalb des eigenen Bootes übertragen werden.
Meldet euch, wenn ihr Hilfe braucht.
Viele Grüße und bleibt gesund.
Euer Trans-Ocean Vorstand
Peter Wiedekamm, Egon Lutomsky, Matthias Langendorf, Dirk Menke, Carsten Matthias, Pit Dörnfeld