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letzter Beitrag 16.03.23 um 14:20 von  MathiasW
Warum das Ankern im flachen Wasser gefährlich sein kann, wenn man nur Kette benutzt
 8 Antworten
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Autor Nachrichten
MathiasW Segler Segler Posts:23
--
04.03.23 um 16:13

    Liebe Seglerfreunde,

    ich hatte vor einiger Zeit schon einmal einen Post zu meinem Ankerkettenrechner gemacht. Ich möchte nun etwas mehr Hintergrundinformationen zu einem bestimmten Szenario geben - Ankern in sehr flachem Wasser und nur mit Kette aber ohne Trosse / Ankerleine.

    Wenn der Wind stetig weht und es keine Böen oder Wellengang gibt, ist alles in Ordnung. Die Kette ist wunderbar!

    Wenn man jedoch starken Böen oder Wellengang ausgesetzt ist, wird das Boot kurzzeitig weiter vom Anker weggedrückt, bis es wieder zum Stillstand kommt.

    Wie wird nun dieses Anhalten erreicht? Physikalisch gesehen wurde von der Böe oder dem Wellengang Energie auf das Boot übertragen, und diese Energie muss irgendwo hin. Sie muss absorbiert werden. Die Kette kann etwas Energie aufnehmen, indem sie weiter vom Meeresboden angehoben wird. Dies wird als potenzielle Energie bezeichnet. Sie ist ungefähr (nicht genau) proportional zu der Fläche unter der Kettenkurve und dem Meeresboden.

    Es stellt sich jedoch heraus, dass man in sehr flachem Wasser nicht viel Energie in der Kette speichern kann. Das liegt einfach daran, dass die Kette von Anfang an fast waagerecht ist. Wenn man also weiter an ihr zieht, nähert sie sich einer geraden Linie, aber der Unterschied zwischen vorher und nachher ist gering. Grafisch gesehen ist die Fläche unter der Kettenkurve klein. Folglich ist die darin gespeicherte Energie klein.

    Das ist im flachen Wasser gefährlich, wenn die Böen / der Schwell sehr stark sind. 

    Genau aus diesem Grund sollte man einen langen und sehr elastischen Ankerstropp / Hahnepot zwischen Bug und Kette laufen lassen, um die Last abzufangen. In der Grafik ist das die grüne Linie. Dadurch wird die Energie gespeichert, die die Kette nicht speichern konnte, was zu einer wesentlich geringeren Spitzenbelastung des Ankers führt und damit zu einer viel größeren Chance, dass der Anker hält :)

    Und mit lang meine ich viele Meter, nicht nur einen Meter. Ein Meter ist viel zu kurz, um eine ausreichende Wirkung zu erzielen.

    Zusammen mit meinem Sohn habe ich ein Tool entwickelt, mit dem man die Auswirkungen von Snubber und Böen ausprobieren kann. Die meisten Eingaben sind offensichtlich, aber die "Geschwindigkeit am Anker" ist es vielleicht nicht. Dies ist die SOG-Geschwindigkeit, die man auf dem Kartenplotter ablesen kann, wenn man vor Anker liegt. Sie liegt normalerweise zwischen 0,1 und 0,4 kn. Wenn sie höher ist, befindet man sich an einem sehr exponierten Ankerplatz.

    Das Tool ist hier zu finden:

    www.anchorchaincalculator.com

    Man wird schnell feststellen, dass es nicht hilfreich ist, in flachem Wasser einfach immer mehr Kette zu verwenden. Diese zusätzliche Kette wird nur auf dem Meeresboden liegen und nichts Nützliches beitragen. (Auch wenn es häufig gesagt wird, Reibung am Grund bringt nicht viel!) Auch hier ist es grafisch gesehen besser, die Kette nicht auf der Ankerseite, sondern auf der Bugseite "anzubringen", indem man die Kettenkurve dort einfach verlängert, wenn man so will. Dadurch wird die Fläche unter der Kurve vergrößert. Aber leider reicht der Bug dort nicht hinauf ;) Man muss also in tieferem Wasser ankern, um die Kette wieder zu erreichen... ;)

    Daraus ergibt sich die Schlussfolgerung, dass das Ankern in tieferem Wasser sicherer ist und zu einer geringeren Ankerlast führt, wenn man genug Kette hat, da die Kette besser genutzt wird. Aber das gilt natürlich nur, wenn Böen und Seegang an diesem neuen Ankerplatz nicht viel schlimmer sind... ;)

    Zur Veranschaulichung habe ich auch eine Animation gemacht, welche hier zu finden ist:

    https://trimaran-san.de/wp-content/...x-2160.mp4


    Cheers, Mathias

    Anhänge
    Capt‘n Motylek Kommodore Kommodore Posts:171
    --
    05.03.23 um 18:14
    Moin Mathias,
    danke für diesen interessanten und sehr fundierten Beitrag. Jetzt habe ich mal eine Frage zum Verständnis, wenn auch eher mit einem theoretischen Denkansatz. Die Frage bezieht sich auf Deinen folgende Aussage:

    „ Es stellt sich jedoch heraus, dass man in sehr flachem Wasser nicht viel Energie in der Kette speichern kann. Das liegt einfach daran, dass die Kette von Anfang an fast waagerecht ist. Wenn man also weiter an ihr zieht, nähert sie sich einer geraden Linie, aber der Unterschied zwischen vorher und nachher ist gering. Grafisch gesehen ist die Fläche unter der Kettenkurve klein. Folglich ist die darin gespeicherte Energie klein.“

    Wenn die Kettenkurve klein ist müsste doch zumindest ein höheres Gewicht der Kette, sprich 13er statt 8er Kette, zu dem Sachverhalt beitragen, dass mehr Energie durch die Kette aufgenommen werden kann. In der Praxis wird sich das kaum bemerkbar machen… und es wird auch niemand 13er Kette spazieren fahren obwohl 8er ausreichend ist…. ich möchte das rein physikalisch betrachten.
    Mir geht es eher darum ob der Gedanke korrekt ist und die durch die Kette aufgenommene Energie in der Kurve durch das Gewicht positiv beeinflusst werden wird.

    Danke für Deine Mühe.

    Fair Winds
    Martin
    MathiasW Segler Segler Posts:23
    --
    06.03.23 um 17:03

    Moin Martin,

    Danke für das Feedback!

    Und ja klar, wenn man eine Kette nimmt, die pro Länge doppelt so schwer ist, dann wird sie bei gleicher Kettenlänge und Kettenkurve auch die doppelte Energie speichern. Da die Kettenkurve einer schwereren Kette jedoch etwas steiler ins Wasser geht, wird es nicht genau ein Faktor 2 sein, aber es wird nicht stark davon abweichen. Auf jeden Fall hat sie das Potenzial, das Doppelte zu liefern.

    Nur wenn es absolut horizontal ist, am Strand, dann ist 2 x Null immer noch Null, aber das ist ja auch klar. :)

    LG, Mathias

    Capt‘n Motylek Kommodore Kommodore Posts:171
    --
    06.03.23 um 23:59
    Hallo Mathias,

    danke für Deine hilfreiche Antwort, bin ich i.S. der Physik doch nicht ganz falsch unterwegs. Nun interessiert mich noch die Konstruktion des „snuffers“. Wäre es hier nicht sinnvoll, statt eines starken Endes mit guter „Dehnungsqualität“, über die Klampe einen Hahnepot zu konstruieren, welcher dann, mittels eines Ruckfenders, besser einer Ruckfeder, auf die Kette geleitet wird?
    Ohne mich wissenschaftlich mit dieser Frage auseinandergesetzt zu haben unterstelle ich mal, daß eine Ruckfeder doch bzgl. der Aufnahme der eingeleiteten Energie auch einem stark dimensionierten Ende deutlich überlegen sein sollte. Oder irre ich da?
    Praktisch würden dann quasi von beiden Bugklampen etwa 3 Meter Trosse, z.B. eine 14er Bavaria-Festmacherleine, auf die Ruckfeder laufen, welcher dann, mittels eines Schäkels, an der anderen Seite an der Kette festgemacht wird. Die jeweiligen Bruchlasten und Materialien müssen natürlich aufeinander abgestimmt sein, so dass keinesfalls ein gegossener Zinkschäkel an die 1.4462er Kette geschaubt werden sollte…

    Nochmals Danke für Deine Mühe dieses hochinteressante Thema so fundiert darzulegen.

    Fair Wind
    Martin

    PS: Persönlich bin ich, gerade im MM, doch ein Freund der These „viel hilft viel“. 80 Meter 10er Kette bei 38ft mono haben mich bisher bei 5-6 Metern Tiefe stets ruhig schlafen lassen. Und fehlt der Platz bei unruhiger See, so suche ich lieber ein anderes Plätzchen…. Auch, da ich dem „Gegner“ nie traue.. Aber, z.B. in den Bahamas o.ä. Revieren sind Deine hier veröffentlichen Erkenntnisse und dieses Tool zur Berechnung natürlich überaus nützlich.
    MathiasW Segler Segler Posts:23
    --
    07.03.23 um 02:34

    Hallo Martin,

    Danke für das liebe Feedback!

    Bevor ich mich mit diesem Thema beschäftigt hatte, hatte ich bei meinem Schwerwetter Snubber auch Gummiknochen mit eingebaut. Da ich einen Tri habe, also ein Hahnepot verwende, und da ich immer gerne auf der sicheren Seite liege, für jeden Schenkel des Hahnepots zwei solche Gummiknochen. Insgesamt also 4. Aber wenn man es sich mal genauer anschaut, dann ist jedoch der einzige Effekt dieser Gummiknochen der, dass man die Länge des Snubbers etwas kürzen kann. Ohne es nun genau ermittelt zu haben, schätze ich mal, dass so ein Knochen von 50 cm Länge vielleicht 1 Meter Tampen einspart. Sprich, wenn ich den Snubber entsprechend länger mache, habe ich den identischen Effekt. Aber es ist finanziell deutlich günstiger.

    Der Vorteil des Einkürzens liegt sicherlich darin, dass die Gefahr geringer ist, dass der Snubber am Boden schleift bei wenig Wind, wenn man mehrere Knochen verwendet. Davon kann er schnell verschleissen.

    Beim Snubber ist ja auch zu beachten, dass er gut auf das Boot abgestimmt sein muss, damit er funktioniert. Genau wie die Federung eines Lastwagens bei einem R4 nicht wirklich hilft. Lustigerweise kommt bei meiner Analyse raus, dass für einen großen Bereich an Bootsgrößen - also alles, was uns so unterkommt - letztendlich immer das gleiche Ergebnis herauskommt: Wenn es wirklich ordentlich kachelt, also sagen wir mal bei 8 BFT, dann sollte der Snubber sich um 1 - 2 Meter gestreckt haben. Nur dann hat er wirklich den gewünschten Effekt. Wenn er sich weniger streckt, ist er nicht elastisch genug.

    Man hat zwei Möglichkeiten, diese Elastizität einzustellen: Naja drei: A) Das richtige Material verwenden. B) Die Dicke des Snubbers. Je dünner er ist, desto elastischer ist er, aber desto eher kommt er auch an seine Grenzen der Belastbarkeit, und C) Die Länge des Snubbers. Je länger er ist, desto elastischer ist er.

    Wenn ich also sage, ein Snubber sollte sich bei 8 BFT um 1.6 Meter dehnen können, dann muss er genügend lang sein, sonst geht er gleich kaputt. Wenn man ein Material annimmt, dass unter Arbeitslast sich um 20% dehnt, dann braucht man also einen 8 Meter langen Snubber. 20% davon sind 1.6 Meter. Dann muss man "nur" noch sicherstellen, dass bei ordentlich Kacheln auch die Arbeitslast des Snubbers erreicht ist, dann ist er korrekt dimensioniert.

    Aus diesem Grund sind die häufig gesehenen Snubber von 1 Meter Länge einfach viel zu wenig elastisch. SIcherlich besser als nichts, aber man kann es deutlich verbessern. (In meinem Tool gibt es dafür die Kategorie 'lousy' ;) )

    Ich anker auch immer mit Kette, ohne Trosse. Gerne auf 10-12 Meter Wassertiefe, vom Bugroller gerechnet. Dann nehme ich meinen normalen Hahnepot hinzu, der nur vom Bug aus läuft (zu faul, den von den Aussenrümpfen laufen zu lassen). Dieser ist gut 4 Meter lang, jede Seite. Und wenn das Wetter richtig schlecht werden soll, also alles, was so über 35 kn hinausgeht, dann bringe ich meinen Schlechtwetter Snubber in Stellung. Der läuft von den Aussenrümpfen und ist jeweils 14 Meter lang. Aber wie gesagt, der würde am Boden schleifen bei wenig Wind...

    Also nichts gegen viel Kette, das mach ich auch immer. Ich habe selten weniger als 60 Meter draussen. Aber ein guter Snubber hilft auch in tieferem Wasser noch etwas, um die Spitzenlasten rauszunehmen. Aber ja, je tiefer man ankert, um so besser funktioniert die Kette.

    Das alte Sprichwort habe ich also umgebaut: Viel Kette hilft viel, wenn man ihr die dazu notwendige Ankertiefe gibt... :)

    Ein weiterer positiver Effekt des Ankerns in tieferem Wasser ist der, dass man weniger Nachbarn hat. Sehr gut, wenn andere Boote anfangen zu driften... ;)

    Aber ja, hier in den Bahamas ist nichts mit auf 10 Meter Tiefe ankern. Ich anker gerade auf 7 Meter Tiefe, vom Bugroller gerechnet, und das ist fast schon runter vom Kontinenalsockel hier... ;)

    LG, Mathias

    Capt‘n Motylek Kommodore Kommodore Posts:171
    --
    07.03.23 um 09:01
    Moin Mathias,

    danke für diesen interessanten Austausch. Solch fundierte Beiträge sind leider viel zu selten in diesem Forum…. Nun kann ich auch die Kategorie „lousy“ richtig einordnen. Physikalisch und in der praktischen Anwendung betrachtet sind Deine Ausführungen super interessant und hilfreich. In diesem Sinne wünsche ich Dir noch viele gemütliche Stunden vor Anker, am liebsten bei einer leichten Brise und mit einem kräftigen Schluck Salzwasser unter den Rümpfen.

    Fair Winds
    Martin
    MathiasW Segler Segler Posts:23
    --
    07.03.23 um 17:13
    Moin Martin,
    Vielen lieben Dank! Ich arbeite an diesem Thema nun auch schon so 4 Jahre und so langsam kenne ich alle Ecken und Winkel... :)
    Euch auch eine wunderschöne Zeit im MM. Wir werden dort vielleicht nächstes Jahr aufschlagen.
    Cheers, Mathias
    SY Just do it Skipper Skipper Posts:49
    --
    15.03.23 um 22:14

    Hallo Matthias,

    ich kann mir unter einem Snubber nichts vorstellen. Hast Du mal ein Foto oder eine genaue Beschreibung? Danke im Voraus.

    Fair winds
    Martin

     

    MathiasW Segler Segler Posts:23
    --
    16.03.23 um 14:20
    Hallo Martin,

    Oh, sorry. Snubber ist die Englische Bezeichnung für den Ankerstropp, also dem Tampen, der für eine Zugentlastung der Kette am Bug sorgt. Er hat also an einem Ende eine Kettenkralle, mit der man ihn in der Kette befestigt, und am anderen Ende wird er an einer Klampe oder ähnlichem vorne am Bug angeschlagen. Wenn man dann noch etwas mehr Kette gibt, wird die Last vom Ankerstropp aufgenommen und die Ankerwinsch entlastet. Was ich halt hier rüberbringen will ist, dass dieser Ankerstropp nicht nur die Winsch entlastet, sondern insgesamt die Spitzenlast bei Böen deutlich reduziert - in flachem Wasser insbesondere. Wenn er denn lang und elastisch genug ist. LG, Mathias
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